Haben und Nichthaben

Gerechte Umverteilung muss eine globale Perspektive eröffnen

Während Milliarden Menschen auf der Welt nicht einmal über sauberes Trinkwasser, ausreichend gesundes Essen und medizinische Grundversorgung verfügen, erreichen die angehäuften Vermögen der Reichsten auf der Welt immer spektakulärere Ausmaße. Nur wenige Superreiche besitzen über die Hälfte des gesamten weltweiten Vermögens. Das ist die Folge einer Krisenpolitik, die die Lasten weltweit nach unten umverteilt, um die Reichen zu schonen.

Das neoliberale Versprechen, dass mit der Liberalisierung des Waren- und Kapitaltransfers auch etwas für die Armen abfallen würde, hat sich als falsch erwiesen. „Take it from the needy, give it to the greedy“- Nimm’s denen, die es brauchen, gib’s den Gierigen. So lässt sich die Entwicklung der letzten 40 Jahre zusammenfassen. Bereits Ende der 1970er Jahre begann die Politik in vielen Ländern der Welt, die Regulierung der Finanzmärkte zu lockern und die Märkte zu öffnen, um den uneingeschränkten Zugriff auf die weltweiten Ressourcen zu erleichtern.

Schon damals gab Heinrich Böll zu bedenken: „Es gibt nicht nur eine Gewalt auf der Straße, Gewalt in Bomben, Pistolen, Knüppeln und Steinen, es gibt auch Gewalt und Gewalten, die auf der Bank liegen und an der Börse hoch gehandelt werden“. Um dieser Gewalt zu begegnen, müssen wir den Kampf für eine gerechte Umverteilung unter einer globalen, solidarischen Perspektive führen. Denn noch nie in der jüngeren Geschichte waren die Unterschiede bei Einkommen, sozialen Chancen und Gesundheitsstatus zwischen und innerhalb von Ländern so groß wie heute.

Europa in der Krise

Armut und in der Folge Hunger und Krankheit bestimmen den Alltag von Milliarden Menschen vor allem im Süden. Auch im Norden geht es seit Ausbruch der Krise für viele nur noch bergab: Durch seinen Niedriglohnsektor und einen hohen Automatisierungsgrad hat Deutschland die niedrigsten Lohnstückkosten in ganz Europa. Deutschland weist jedes Jahr Handelsbilanzüberschüsse aus, denen ein ebensolches Minus in Spanien, Portugal und Griechenland gegenüber stehen. Während sich die privaten Vermögen in der Bundesrepublik auf 10 Billionen summieren, entspricht dies ungefähr der Summe der Schulden, die alle europäischen Länder zusammengenommen haben.

Die Folgen für die Menschen in Europa sind unübersehbar: In Glasgow haben Kinder aus ärmeren Siedlungen eine um 27 Jahre geringere Lebenserwartung als jene aus wohlhabenden Wohngegenden. In Griechenland müssen heute Krankenhäuser aus Geldmangel selbst lebensnotwendige Operationen absagen. Ein ganzes Gesundheitssystem droht zu kollabieren. Verzweifelt wehren sich die Griech_innen gegen den Sozialkahlschlag, während in den Häfen der griechischen Küste die Luxusyachten ihrer superreichen Landsleute vertäut liegen. Auch in Deutschland werden die Schlangen an den Tafeln trotz atemberaubender Handelsbilanzüberschüsse und wachsender Privatvermögen täglich länger. Hier wird konkret, was mit globalem Süden gemeint ist: Armut und Ausgrenzung gibt es überall.

Umfairteilen von oben nach unten – überall

Gleichzeitig schwimmt die Welt in Geld. Es wäre möglich, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen und globale soziale Rechte zu verwirklichen. Kein Wunder also, dass sich in vielen Ländern der Welt Protest regt gegen diese Form der Unfair-Verteilung. „Wo sind unsere Milliarden, Herr Präsident?“ riefen die Menschen in Angola vor einigen Jahren, nachdem bekannt wurde, dass sich die Regierung jedes Jahr eine Milliarde US-Dollar in ihre eigenen Taschen steckt. Angola ist reich an Rohstoffen und zugleich eines der ärmsten Länder der Welt. Die Menschen in Angola fordern ihre gesellschaftliche Teilhabe ein, die ihnen durch ein Netzwerk von Ausbeutung und Bereicherung vorenthalten wird.

Auch in Deutschland etabliert sich ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und Nichtregierungsorganisationen in der Kampagne Umfairteilen. medico international und Attac sind Teil dieser Kampagne und fordern, eine weltweite Umfairteilung in Angriff zu nehmen.

Steueroasen schließen

Eine zentrale Rolle spielt dabei die gemeinsame Forderung nach der Austrocknung der Steueroasen. Dort lagern – gut versteckt vor dem Fiskus – nach Schätzungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit 21 bis 32 Billionen US-Dollar aus aller Welt (und das ist kein Übersetzungsfehler!). Deutschland rangiert übrigens im Index des Netzwerks Steuergerechtigkeit der schädlichsten Schattenfinanzzentren nur knapp hinter Ländern wie der Schweiz oder den Cayman Islands. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit kritisiert, dass von den Millionenbeträgen der arabischen Despoten Ben Ali, Mubarak und Gaddafi nur Bruchteile aufgespürt wurden. Sie bemängeln außerdem, dass die Schweiz, obwohl sie im Jahr 2011 ein Gesetz zur Rückführung von Diktatorengeldern beschlossen hat, wenig Engagement zeige, zu verhindern, dass weiterhin Gelder versteckt werden.

Der politische Wille zur Abschaffung der Schattenfinanzplätze muss auch aus den mächtigen Industrieländern kommen. Erst dann wird in vielen Ländern eine aktive Verteilungspolitik durchführbar. Der von den Menschen in Angola angeprangerte Milliarden-Diebstahl durch Korruption wird auch dadurch ermöglicht, dass die Regierungen in den Industrieländern zulassen, dass das Geld der Bevölkerung in den Steueroasen Europas verschwindet. Steuerflucht kostet die sogenannten Entwicklungsländer siebenmal mehr, als sie an Hilfsgeldern erhalten.

So wie der globale Süden sich mit der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten auf der ganzen Welt geografisch nicht mehr auf die Südhalbkugel beschränkt, wachsen die Zonen des globalen Nordens, also die Inseln der Superreichen im geografischen Süden. Mit der heute noch utopisch erscheinenden Forderung nach einer weltweit eingeführten Reichensteuer könnten auch dort die Oberschichten zur Kasse gebeten werden.

Vermögensabgabe eröffnet neue Handlungsräume

Auch in Europa ist ein gemeinsames Vorgehen nötig, um die Reichsten über Staatengrenzen hinweg zu besteuern. Attac und medico fordern eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe, um damit zum Beispiel den Aufbau eines funktionierenden Gesundheitssystems zu finanzieren. Neben anderen Maßnahmen muss die Einnahmeseite in jedem Land gestärkt werden, das jetzt unter einer Schuldenlast ächzt und den Abstrafungen der Finanzmärkte und den Auflagen der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds ausgeliefert ist. Um die Staatseinnahmen zu erhöhen, braucht es Steuern und Abgaben besonders auf große Vermögen, Erbschaften und Konzerngewinne. Solidarische Sozialversicherungen müssen entwickelt werden, die auch die Reichsten einbeziehen.

Diese Umverteilungs-Maßnahmen wären zugleich die beste Krisenvorbeugung: Wenn die Finanzmärkte schrumpfen, weil dort weniger Geld unterwegs ist, reduziert das das Risiko weiterer Finanzkrisen durch besonders gewagte Spekulation. Auch der Druck auf Land-, Immobilien- und Rohstoffpreise sinkt. Nicht zuletzt würde ein europaweit koordiniertes Vorgehen bei der Besteuerung verhindern, dass einige Reiche Steuervorteile in Nachbarländern suchen.

Globale neoliberale Umverteilung

Die Finanzkrise der letzten Jahre hat gravierende Folgen für die Länder des Südens: Der Nachfragerückgang für mineralische Rohstoffe traf jene Länder besonders hart, die auf deren Export angewiesen sind. Die Entschuldungsinitiative erlassjahr.de weist darauf hin, dass im Zuge der Krise Kapitalflüsse aus südlichen Empfängerstaaten in die scheinbar sicheren Häfen derjenigen Länder geleitet wurden, in denen die Krise entstand. Dadurch fehlt dringend benötigtes Geld für den Aufbau von Infrastruktur oder Gesundheitswesen. Die schon vor der Krise wirksame neoliberale Umverteilung von Arbeitskräften, Medikamenten, natürlichen Ressourcen und Geld hat weltweit entsetzliche Folgen.

Im September 2012 brannte eine Textilfabrik im pakistanischen Karatschi. Über 250 Menschen verloren in den Flammen qualvoll ihr Leben, weil die meisten Fenster zugemauert waren und die wenigen Notausgänge verriegelt waren. medico international wurde von seinen Partnern darüber informiert. Von Gewerkschaftern, die versuchen, die Arbeiterinnen und Arbeiter der Weltmarktfabriken zu organisieren. Sie berichteten, dass die abgebrannte Fabrik auch Jeans für den deutschen Markt produzierte. Auftraggeber unter anderem: der Textildiscounter KiK, dessen Billigmärkte sich in den Einkaufszentren unserer Städte finden.

Ausbeutung in Pakistan und Sozialabbau in Deutschland

Dieses globale Geschäft der unfairen Verteilung rechnet sich, wenn die Menschen, die Hosen für KiK nähen, dafür nur zwei US-Dollar täglich bekommen, wenn sie weder Rentenansprüche noch ihr Recht auf Krankenversicherung geltend machen können. Das Geschäft der unfairen Verteilung rechnet sich, wenn die gewerkschaftliche Organisierung – wie sie von den medico-Partnern in Karatschi versucht wird – immer wieder auch mit Gewalt unterdrückt wird. Die Liberalisierung des Handels, die vor allem Deutschland innerhalb der EU vorantreibt, führt weltweit dazu, die Schere zwischen arm und reich global noch weiter zu öffnen als zuvor. Die brennende Fabrikhalle in Karatschi steht symbolisch für die Auswirkungen dieser Politik.

Dieses Beispiel zeigt auch, wie sehr die internationale und hiesige Ungleichverteilung Seiten derselben Medaille sind: Immer mehr Kund_innen von KiK hierzulande sind auf Billigware angewiesen. Der Gang zu KiK bringt 30 Jahre Sozialabbau in Deutschland auf den Punkt. Die wechselnden deutschen Regierungen der vergangenen Jahrzehnte sorgten mit Steuerentlastungen für Spitzeneinkommen, für Kapitalerträge und Vermögen dafür, dass ein Prozent der reichsten Deutschen über mehr als 35 Prozent des Gesamtvermögens verfügt, die Hälfte der Gesamtbevölkerung hingegen über praktisch gar keins.

Was tun?

Die Ursachen von Ungleichverteilung und weltweiter Armut sind zahlreich. Deshalb muss es auch ein ganzes Bündel an Maßnahmen geben, um langfristig stabilere, gerechte und demokratische Handelsbeziehungen zu etablieren.

Neben den im Text genannten Forderungen, Steueroasen zu bekämpfen und eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe und Reichensteuer (wieder-)einzuführen sind viele weitere Maßnahmen nötig. Hier nennen wir einige besonders wichtige.

  1. medico und Attac fordern faire Handelsregeln. Derzeit manifestieren Abkommen in der Welthandelsorganisation (besonders in den Bereichen Agrarhandel, Patente und Dienstleistungen) bestehende Ungleichheiten. In immer mehr bilateralen Handelsabkommen sichern sich die einflussreicheren Staaten Rechte für ihre Unternehmen und fordern Marktöffnungen, die oft zerstörerisch wirken. Gerade die ländliche Entwicklung in vielen Staaten wird immer wieder zurückgeworfen, weil nach erfolgter Marktöffnung gedumpte Billignahrungsmittel aus Europa die lokalen Märkte überschwemmen.
  2. Die Rohstoff-Initiative der Bundesregierung (und die daran orientierte Initiative der EU) darf nicht länger ein Garantieschein für zuverlässige Ausbeutungs-Beziehungen sein, sondern muss soziale, ökologische und demokratische Voraussetzungen für Rohstoff-Abbau und Handel in den Vordergrund stellen.
  3. Schulden müssen in großem Umfang gestrichen werden. Dazu gehört ein Schuldenaudit, das zur Aufklärung der Schulden- und Gläubigerstruktur beiträgt und Grundlage einer Streichung von Verbindlichkeiten sein kann. Umgesetzt werden muss auch die Streichung sogenannter illegitimer Schulden, also solcher die z.B. aus Geschäften mit Diktatoren entstanden sind.
  4. Insolvenzregeln für Staaten müssen eingeführt werden, damit es bei Zahlungsunfähigkeit Perspektiven gibt, eines Tages schuldenfrei weiter arbeiten zu können. Für Unternehmen und für Privathaushalte sind Insolvenzverfahren geregelt, für Länder nicht. Dabei übertrifft mancher transnationale Konzern in seinem Jahresumsatz das Bruttoinlandsprodukt ganzer Staaten.

Weltweite Solidarität

Das Prinzip solidarischer Umverteilung gehört zu den großen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte. Es trägt indigene Gesellschaften, es gehört zum Kern der katholischen Soziallehre, es ist Grundlage der aufgeklärten Idee des Gesellschaftsvertrages. Es kommt in genossenschaftlich betriebenen Dorfapotheken ebenso zum Ausdruck wie in steuerfinanzierten kommunalen Wasserwerken und gesetzlich geregelten Krankenversicherungen, die von progressiv gestaffelten Beitragszahlungen getragen werden. Umverteilen sorgt für soziale Kohäsion, den Zusammenhalt, ohne den weder Gesellschaftlichkeit noch auf Dauer menschliche Existenz denkbar sind.

Wenn wir heute die Forderung nach Umverteilung erheben, verlangen wir mehr als Fairness. Wir fordern ein Eigentumsmodell jenseits von Privateigentum als institutionelle Grundlage dafür, dass Menschen nicht in Armut und Krankheit umkommen müssen. Deshalb muss der Kampf für die Umverteilung von oben nach unten und für die sozialen, ökonomischen und politischen Rechte weltweit geführt werden. Und wir sind aufgerufen, unseren Teil dazu beizutragen.

Anne Jung ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei medico international
Jutta Sundermann ist Mitglied des Attac Koordinierungskreises

Veröffentlicht am 18. April 2013

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