Guatemala

Staatsstreich vereitelt

Am 14. Januar kommt es in Guatemala zum erhofften Machtwechsel. Der Versuch den Antritt der rechtmäßig gewählten Regierung zu verhindern, konnte durch massive soziale Proteste abgewendet werden.

Von Prensa Comunitaria

Das Jahr 2023 war herausfordernd und wegweisend für die zukünftige Ausrichtung des gesamten Landes. Dass auf die Wahl von Bernado Arévalo auch sein Amtsantritt und die Neubesetzung der politischen Ämter folgt, wurde massiv behindert: Es herrscht ein sogenannter „Pakt der Korrupten“ zwischen hochrangigen, meist rechtsgerichteten Regierungsbeamten und Personen, die wichtige Funktionen im Wirtschaftssektor einnehmen. Dieser “Pakt der Korrupten” hatte in den vergangegen Jahren erfolgreich einen erheblichen Einfluss auf das politische System mit Ausnahme der Exikutive erlangt. Alles deutete darauf hin, dass Guatemala den Weg von einer hybriden Demokratie hin zum Autoritarismus einschlagen würde.

In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im vergangenen Juni stimmte die guatemaltekische Bevölkerung allerdings für die bis dahin fast unbemerkt gebliebene Partei Movimiento Semilla von Arévalo und leitete damit einen Machtwechsel ein. Bei der Stichwahl im vergangenen August wählten die Guatemaltek:innen eindeutig Semilla als neue Regierungspartei. Der Pakt der Korrupten ergriff verschiedene Maßnahmen, um die Amtsübernahme der neuen Regierung zu verhindern. Überraschend und beeindruckend entschieden sich Indigene Autoritäten, Gemeinden sowie Stadtteilversammlungen daraufhin auf die Straße zu gehen. Die folgenden massiven Proteste brachten das Land einen Monat zum Stillstand. In einem beispiellosen Aufbegehren der Bevölkerung konnte der Quasi-Staatsstreich abgewendet werden.

Demokratie von unten

Der Prozess der autoritären Regression hatte in Guatemala bedeutende Fortschritte gemacht. Neben den Wahlen, prägten auch Kriminalisierung und politische Verfolgung das Klima des Landes. Die Kampagnen des psychologischen Terrors gegen politisch organisierte Gruppen und Einzelpersonen und deren juristische Verfolgung und Einschüchterung erinnerten an militärische Operationen aus Zeiten der Diktaturen. In soziale Medien führte die Verbreitung von Falschinformationen über die Partei Semilla und über die  Massenproteste zusätzlich zu einer großen Verunsicherung.

Bereits 2022, bevor der Wahlkampf begann, wurden der bekannte Journalist José Rubén Zamora, die ehemaligen Leiterin der Sonderkommission gegen die Straflosigkeit (FECI) Virginia Laparra, sowie die Anwältin Claudia González festgenommen. Dass kritische Stimmen bereits vor den Präsidentschaftswahlen inhaftiert wurden, rief in der Bevölkerung tiefe Empörung und Solidaritätsbekundungen hervor. Eine systematische Verfolgung und Kriminalisierung von Jurist:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen durch die Staatsanwahltschaft unter Leitung von Consuelo Porras setzte sich dennoch fort. In kürzester Zeit wurden mindestens 45 Personen flüchteten ins Exil und mehr als zehn Personen sahen sich mit strafrechtlichen Verfahren konfrontiert.

Jenseits dessen hat sich die noch wenige Tage amtierenden Regierung von Alejandro Giammattei durch offensichtliche Korruption diskreditiert. Besonders markant: die Veruntreuung des für COVID-19-Impfungen vorgesehenen Budgets. Nach Einschätzung des Gesundheitsministerium (MSPAS) starben dadurch zwischen 10.000 und 11.000 Menschen an dem Virus.

Die Empörung und Missbilling der Guatemaltek:innen zeigte sich dann an den Wahlurnen: Die Partei Movimiento Semilla von Bernardo Arévalo und Vizekandidatin Karin Herrera erhielt 58 Prozent der Stimmen, während Sandra Torres, die Präsidentschaftskandidatin der Nationalen Einheit der Hoffnung (UNE) und Teil des Paktes der Korrupten mit nur 36,9 Prozent der Stimmen abgestraft wurde.

Beharrung und Veränderung

Nach diesem Ergebnis startete die Staatsanwaltschaft eine rechtswidrige Verfolgungskampagne gegen Arévalo, Herrera und ihre Partei. Mit dem technokratischen Repertoire der Bürokratie wurde versucht einen Machtwechsel zu verhindern. Parteiverbotsverfahren gegen Semilla oder die erneute Prüfung der Wahlergebnisse unter fadenscheiniger Begründung waren nur einige dieser Maßnahmen. Soziale Bewegungen, allen voran indigene Gemeinden, ließen diese Entwicklung nicht unbeantwortet und reagierten landesweit mit friedlichen, festlichen und fast schon spielerischen Protesten und ließen Semilla, übersetzt das Saatkorn der Hoffnung, aufkeimen. Der Höhepunkt des Protests war der unbefristete nationale Streik mit landesweiten Blockaden, der am 2. Oktober begann und bis zum Redaktionsschluss dieses Textes bereits über 100 Tage andauert.

Im Zuge der Proteste wurden drei Widerstandscamps indigener Gruppen errichtet: Zwei davon nur wenige Straßen vom Kongress der Republik entfernt und ein weiteres, noch bestehendes, vor dem Sitz der Staatsanwaltschaft im Zentrum von Guatemala-Stadt. Bis zum 14. Januar sollen die Proteste fortgesetzt warden, um die Rückkehr zur Demokratie und die Amtseinführung von Arévalo und Herrera abzusichern. Darüber hinaus wurde der Rücktritt von Generalstaatsanwältin Consuelo Porras, den Staatsanwälten Rafael Curruchiche und Cinthia Monterroso sowie dem Richter Fredy Orellana gefordert, da diese als Mitverantwortliche des Staatsstreichs betrachtet werden.

Neues Kabinett und hohe Erwartungen

Auf kurzfristige Sicht ist der Amtsantritt der Regierung unter Bernardo Arévalo ein Erfolg, gleichwohl steht die neue Regierung vor erheblichen Herausforderungen: Die Stärkung der Demokratie in einem Land, dessen Institutionen von illegalen Machtstrukturen weiterhin durchdrungen sind; die Konfrontation mit einer korrupten und ineffizienten Bürokratie; die Bewältigung der drängendsten Probleme von Gesundheitsversorgnung und Bildungssystem, die seit dem Friedensabkommen von 1996 jahrzehntelang vernachlässigt wurden und seitens der Bevölkerung mit hohen Erwartungen verbunden ist; die Herstellung von Regierbarkeit in einem von gegensätzlichen Interessen durchsetzen Verwaltungsappart und fraktionierten politischen Institutionen.

Die Verhinderung eines Staatsstreichs auf diese Weise, ermöglicht allerdings einen Prozess zur Wiederherstellung der beschädigten Demokratie. Dennoch setzt sich der Machtkampf auch inmitten der Strukturen des Staates fort. Der Pakt der Korrupten besitzt beispielsweise mit der Mehrheit im Kongress weiterhin großen Einfluss. Hohe Bestechungsgelder vor der Amtseinführung sollten Mehrheiten sichern. Die Abgeordneten des Movimiento Semilla müssen ihre Amtszeit deswegen ohne Fraktionsstatus und in gesellschaftlich stark gespaltenen Kräftenverhältnissen beginnen. Wichtige Ämter im Justizsystem sind nach wie vor von denjenigen besetzt, die mit allen Mitteln versuchten die Wahlergebnisse zusabotieren. Gleichzeitig konzentrieren sich Teile der Wirtschaft unvermindert darauf, ihre Privilegien innerhalb des Staates aufrechtzuerhalten und weiterhin von Geschäften im Zusammenhang mit Megaprojekten und der Rohstoffindustrie zu profitieren.

Im Kabinett ist die neue Regierung aufgrund der Sitzverteilung dazu gezwungen verschiedene Gruppen zusammenzubringen. Einerseits Technokraten, private Unternehmer, sowie mehrere Gründungsmitglieder des Movimiento Semilla, aber auch ehemalige Minister:innen und Berater:innen früherer Regierungen. Andererseits hat sie ein Repräsentationsproblem, denn Vertreter:innen der Proteste: Indigene, Jugendliche und LGBTIQ-Community sind darin nicht vorhanden oder ihre Interessen und Stimmen darin nicht abgebildet. Die meisten der Kabinettsmitglieder haben zwar fachliche Expertise, aber wenig politische Erfahrung,

Zudem setzten die Vereinigten Staaten mit  der Aufnahme von Regierungsvertreter:innen in die Liste korrupter und undemokratischer Akteure (Engel-Liste) und der Androhung von Wirtschaftssanktionen bereits deutlichen Signale. Über 100 der insgesamt nur 160 Abgeordneten hat die USA ihre Visa entzogen. Auch dieses internationalen Drucks mit Unterstützng seitens Vertreter:innen der Europäische Union und die Organisation Amerikanischer Staaten, die ihrerseits eine dauerhafte Beobachtung des Prozesses leisteten, kann Arévalo am kommenden Sonntag sein Amt antreten..

Indikatoren, von denen dennoch kurzfristig ein Signal der Veränderung ausgehen würde, sind die Presse- und Meinungsfreiheit, Schutzmechanismen für Menschenrechtsverteidiger:innen und Korruptionsbekämpfung. Aber auch die Rückkehr der Menschen aus dem Exil und die Implementierung von Rechten indigener Gemeinden gehören dazu. Gelingt es der neuen Regierung die Demokratie in eigenen Land zu stärken, könnte das auch Strahlkraft auf die zentralamerikanischen Nachbarländer entfalten, in denen autoritäre Regime, wie in Nicaragua oder El Salvador, Politik und Gesellschaft fest im Griff haben.

Herausforderungen für die Zivilgesellschaft und die indigenen Völker

Inmitten all dessen entsteht Platz: Nach Jahren der Ausgrenzung und Verfolgung hat die Zivilgesellschaft jetzt die Chance auf Konsolidierung, den Ausbau ihrer Organisation und die Umsetzung von Menschen- und Bürger:innenrechten. Dabei wird die richtige Balance zwischen Aufrechterhaltung der eigenen Autonomie gegenüber der Regierung und der Zusammenarbeit mit dieser  entscheidend sein.

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit autoritären und korrupten Regierungen hat das politische Bewusstsein gestärkt, ebenso wie die Überzeugung, dass die Teilnahme und die Ausübung des Rechts zu protestieren konkrete transformative Auswirkungen haben. Eine der Herausforderungen besteht nun darin, weiterhin Druck auszuüben, um sicherzustellen, dass die erhobenen Forderungen Umsetzung finden und die Interessen aller gesellschaftlicher Gruppen in der Regierung vertreten sind. Der Umgang der Regierung mit den Mega-Infrastrukturprojekten, die Umwelt und lokale Gemeinschaften bedrohen, könnte dafür ein Lakmustest werden.

Übersetzt von Benjamin Cortés

Prensa Comunitaria ist eine unabhängige Medienplattform, die aus der Perspektive sozialer Bewegungen und aus dem abgelegenen Hochland Guatemalas berichten. Mit Medien-Workshops in Communities stärken sie außerdem die Positionen marginalisierter Gruppen, insbesondere indigener Communities in der öffentlichen Debatte. medico unterstütz Prensa Comunitaria bei Recherchen im ländlichen Raum.

Veröffentlicht am 12. Januar 2024

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