Somalia

Der Duft von Akazienholz

Holzkohle als Dauerbrenner: In Somalia verschärfen Armut, geopolitische Veränderungen und Terrorismus die Klimakrise.

Von Abdalle Mumin

Die zahlreichen Überschwemmungen im November 2023, von denen insgesamt 3,8 Millionen Menschen betroffen waren, sind nur eine Facette der vielschichtigen Krisen, von denen das Horn von Afrika aktuell erfasst ist. Anhaltende Dürren, Wasserknappheit, Missernten und eine weit verbreitete Ernährungsunsicherheit werfen lange Schatten auf die Region, vor allem aber auf Somalia. Bereits Ende 2022 prognostizierten die Vereinten Nationen eine bedrohliche Hungersnot für den Süden Somalias, mittlerweile hat sich die Zahl der vom Hungertod bedrohten Menschen auf 6,6 Millionen Menschen verzehnfacht.

Knapp Zweidrittel der über 15 Millionen Bewohner:innen Somalias leben als nomadische oder halbnomadische Hirtenvölker auf dem Land. Der Weltbank zufolge macht Landwirtschaft 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einen Großteil der Beschäftigung aus. Die Wurzeln der ökologischen und humanitären Krise Somalias sind dabei eng mit der massiven Abholzung der Wälder verbunden, die durch den einst streng regulierten Holzkohlehandel verursacht wurde.

Ein Segen für kriminelle Vereinigungen

Die Zerstörung der Bananen-Industrie Somalias in den 1990er Jahren aufgrund des Bürgerkriegs und des eingeschränkten Zugangs zum europäischen Markt ebnete den Weg für die Holzkohle, die  zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor wurde. Mit dem Zusammenbruch der somalischen Zentralregierung im Jahr 1991 wurde dieser zunehmend unkontrollierter. Trotz internationaler Bemühungen im Jahr 2010, den Handeleinzudämmen, überlebte er nicht nur, sondern florierte und erwies sich als destabilisierender Faktor der ganzen Region.

Der Handel rund um Somalias Holzkohleexport folgt einer jahrhundertealten Route, bei der Akazienbäume dem rücksichtslosen Kreislauf zum Opfer fallen. Trotz eines Verbots durch den UN-Sicherheitsrat im Jahr 2012 wird der Handel fortgesetzt, oft getarnt als Export aus anderen Ländern. Korruption im Seeverkehr und beim Zoll ebnen dafür den Weg. Das Ziel der Ware sind die arabischen Golfstaaten, wo Zwischenhändler die Holzkohle unter anderem an Restaurants für Shisha-Wasserpfeifen und Grillfleisch weiterverkaufen.

Dieser illegale Handel ist ein finanzieller Segen für kriminelle Vereinigungen, darunter vor allem Al-Shabaab. Anfang 2010 erzielte die Terrorgruppe durch Holzkohlesteuern an einer einzigen Straßensperre jährliche Einnahmen von 8 bis 18 Millionen US-Dollar. Nach einer Periode des Rückgangs zwischen 2019 und 2021 stellten die Vereinten Nationen fest, dass der illegale Export somalischer Holzkohle im Jahr 2022 wieder zugenommen hat. Trotz Schwankungen ist er nach wie vor lukrativ und die Einnahmen der terroristischen Organisationen belaufen sich auf 7,5 bis 10 Millionen US-Dollar jährlich.

Die Auswirkungen dieses Handels auf die Umwelt sind katastrophal. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schätzt, dass zwischen 2011 und 2017 etwa acht Millionen Akazienbäume gefällt wurden. Sollte dies nicht gestoppt werden, hat Somalia im Jahr 2060 keine Bäume mehr. Die erhöhte Anfälligkeit für Dürren, Hungersnöte und Überschwemmungen folgt zwangsläufig.

Dramatische Nebeneffekte der Krise im Roten Meer

Wichtig ist aber auch, die sozialen und geopolitischen Verhältnisse hinter dem Holzkohlehandels zu beleuchten. Durch Beschäftigungsprobleme und dem Mangel an zuverlässigen Wasserquellen ist er für die somalischen Händler:innen oft die einzige existenzsichernde Einkommensquelle. Ohne zuverlässigen Zugang zu Wasser können bäuerliche Gemeinschaften Landwirtschaft oder andere Subsistenzformen nur schwer aufrechterhalten. In Ermangelung alternativer wirtschaftlicher Möglichkeiten greifen sie, einschließlich der nomadischen Bevölkerung, auf das Fällen von Bäumen für die Holzkohleproduktion zurück.

Die Bekämpfung der Armut und die Förderung von Geschäftsmöglichkeiten für einen nachhaltigen Lebensunterhalt könnten laut Umweltprogramm der Vereinten Nationen erheblich zur Reduzierung des Holzkohlehandels beitragen. Die schwachen staatlichen Institutionen und der Wassermangel tragen jedoch zum Fortbestehen des gefährlichen Handels bei. Die Länder des Golf-Kooperationsrates, allen voran die Vereinigten Arabischen Emirate, sind Hauptimporteure somalischer Holzkohle, insbesondere aufgrund der hohen Nachfrage nach dem charakteristischen Akazienduft. Die große Nachfrage lässt den Preis für einen Sack Holzkohle von 3 bis 4 Dollar auf bis zu 10 Dollar ansteigen und kurbelt den Handel entsprechend an. Dabei verstärkt die wirtschaftliche Dynamik die regressiven Ungleichgewichte in Somalia selbst, verstrickt die politischen Eliten in Klientelismus und destabilisiert die gesamte Region am Roten Meer. 

Die durch die Angriffe der jemenitischen Houthi-Miliz und das Wiederaufleben somalischer Piraten verschärfte Krise im Roten Meer hat Somalia nun in schwere Bedrängnis gebracht. Der Golf von Aden und das Rote Meer sind wichtige Verkehrsadern, über die seit 2023 etwa 12 bis 15 Prozent des Welthandels abgewickelt werden. Berbera und Bosaso, zwei der größten und strategisch bedeutenden somalischen Häfen am Roten Meer, sind essentielle Kanäle für den Transport lebenswichtiger Güter für Millionen von Somalier:innen. Die Aussetzung des Schiffsverkehrs großer Gesellschaften im Roten Meer hat deswegen die ohnehin schon schlimme Nahrungsmittelkrise in der gesamten Region massiv verschärft. Schon im Februar 2022 versuchte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, diese Krise mit der Resolution 2036 einzudämmen und ein Embargo für die Ausfuhr von Holzkohle aus Somalia zu verhängen. In späteren Resolutionen wurde das Verbot sogar noch verschärft und die Rolle regionaler Organisationen bei seiner Umsetzung hervorgehoben. Ein Netz von Händler:innen, Transporteur:innen, Makler:innen und Großhändler:innen hält den illegalen Holzkohlehandel mit betrügerischen Mitteln allerdings weiter aufrecht.

Lokale Geschäftskreise in Kismayo und korrupte regionale Behörden bilden dabei entscheidende Partnerschaften im illegalen Holzkohlehandel. Einerseits profitiert der somalische Staat davon in erheblichem Maße, indem er Zölle und Gebühren erhebt und die Arbeiter festhält. Zum anderen war die Beteiligung von Al-Shabaab an den Holzkohleeinnahmen in den Jahren 2010 und 2011 ausgeklügelt und vielschichtig: Die UN-Beobachter:innen identifizierten 39 Holzkohlehändler:innen in Kismayo, von denen zwei mit Al-Shabaab in Verbindung stehen und die 32 Prozent der Holzkohle in der Stadt verwalteten. In dem UN-Bericht wurde festgehalten, dass zudem die kenianischen Streitkräfte, die Teil der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM, jetzt ATMIS) sind, die Umsetzung der Maßnahmen erschwerten, indem sie sich am illegalen Handel beteiligten, gegen das Embargo verstießen und die Anweisungen der somalischen Regierung unterliefen.

Zurück bleibt Wüste

Zwischen 2006 und 2012 wurden sieben Prozent der spärlichen Vegetation Somalias abgeholzt. Seit 2012 weitere 8,2 Millionen Bäume, vor allem Akazien, für die Holzkohleproduktion gefällt – der Bezug zur Klimakrise ist unbestreitbar. Obwohl der Handel mit Holzkohle seit 2012 verboten ist, war die somalische Regierung nicht in der Lage oder nicht willens, das Verbot durchzusetzen. Trotz der wiederholten Kritik von UN-Beobachtern:innen hinsichtlich der mangelnden Durchsetzung des Embargos werden weiterhin beträchtliche Mengen über die Golfstaaten geschmuggelt.

Sowohl die extremistische Gruppe, als auch die Regierungsbehörden ziehen finanziellen Nutzen aus dem lukrativen Holzkohlehandel, ungeachtet der damit verbundenen Gefahren für die Umwelt und die Lebensweise der Menschen. Im September 2023 hat der UN-Sicherheitsrat eine einmalige Ausnahme vom Holzkohleverbot beschlossen. WÄhrend Umweltschützer Alarm schlugen, zeigte sich Al-Shabaab zufrieden.

Unterdessen zersplittert die politische Landschaft Somalias weiter: Die Zentralregierung kontrolliert vor allem die städtischen Gebiete, während Al-Shabaab in den ländlichen Regionen die Oberhand hat. Die anhaltende Dürre und Nahrungsmittelknappheit haben regionale Milizen dazu veranlasst, den Kampf gegen Al-Shabaab zu unterstützen. Wichtige Importländer wie Kuwait und Bahrain zeigen sich seit 2017 engagierter bei der Durchsetzung des Embargos und auch Iran und Oman stellten 2018 die Holzkohleeinfuhr aus Ländern mit gefälschten Dokumenten ein. Die Umweltzerstörung hält jedoch an und lässt Somalia als Wüste aus erodierten Landschaften und vertriebenen Menschen zurück. "Unsere gesamte Ernte ist verloren. Unser Hab und Gut wurde von den Fluten weggespült. Wir sind nach Mogadischu geflohen, aber wir haben keine Hilfe bekommen", klagt Halima Abdirahman, eine Bäuerin aus der Region Middle Shabelle nördlich der Hauptstadt.

Die Klimakrise in Somalia wird somit durch ein kompliziertes Geflecht aus Umweltzerstörung, illegalen Handel und geopolitische Verwicklungen am Laufen gehalten. Der Kampf gegen den ‚Zorn der Natur‘ ist auch ein Kampf gegen die Schatten des Terrorismus, denn gerade Al-Shabaab profitiert vom lukrativen Holzkohlehandel. Um das Leid der somalischen Bevölkerung zu lindern und die Umwelt zu schützen, braucht es deswegen dringend koordinierte Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft.

Abdalle Mumin ist freier Journalist und Generalsekretär des somalischen Journalistenverbands SJS.

Dieser Artikel ist das Resultat einer Investigativrecherche der medico-Partner:organisation Somali Journalist Syndicate (SJS) und Correctiv. 

Die medico-Partnerorganisation Somali Journalists Syndicate wurde 2019 zur Verteidigung der Pressefreiheit gegründet und vertritt die Belange seiner circa 450 Mitglieder gegenüber staatlichen Akteuren sowie Arbeitgebern in Somalia.

Veröffentlicht am 17. April 2024

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