Israel/Palästina

Weil niemand Terroristen zuhört

30.05.2022   Lesezeit: 4 min

Ohne Beweise vorzulegen, hat Israel sechs palästinensische Organisationen, darunter zwei medico-Partnerorganisationen, als „terroristisch“ eingestuft. Das soll auch Geberorganisationen unter Druck setzen.

Von Riad Othman

In den vergangenen Jahren wurde unseren Partnerorganisationen Union of Agricultural Work Committees (UAWC) und Al Haq, aber auch anderen palästinensischen Institutionen durch selbsternannte proisraelische Watchdog-Organisationen immer wieder die Unterstützung von Terrorismus vorgeworfen. Beweise für die schwerwiegenden Anschuldigungen wurden gleichwohl nicht vorgelegt. Im Gegenteil, frühere Untersuchungen hatten UAWC wiederholt freigesprochen. Auch Al Haq wurden nie Vergehen nachgewiesen. Trotzdem hat sich die israelische Regierung diese Behauptungen offiziell zu eigen gemacht.

Im Kampf um die internationale öffentliche Meinung und nicht zuletzt die Haltung der Geldgeber wird mit unsauberen Mitteln gekämpft, wie die israelische Policy Working Group schon 2018 in einem umfassenden Bericht dargelegt hat. Falschdarstellungen, absichtliche Auslassungen sowie lückenhaft ausgeführte und tendenziös präsentierte Recherchen gehörten zum Standardrepertoire, um Rufschädigung zu bewirken. Trotzdem fungieren mittlerweile auch deutsche Medien und Organisationen als Echokammern solcher Diffamierungen. Die Grundsätze journalistischer Arbeit werden dabei regelmäßig ignoriert. Dieselben Medien, die mit ihrer Berichterstattung auf politische Entscheidungsträger:innen und die Öffentlichkeit einwirken, befassen sich nicht mit einer Prüfung der Vorwürfe, der späteren Entlastung der Angeklagten oder der Fragwürdigkeit von Quellen.

Nachdem diverse Versuche zur Delegitimierung palästinensischer Organisationen nicht die gewünschten Erfolge zeitigten, obwohl der israelische Staat mit der großzügigen Ausstattung eines gesonderten „Ministeriums für öffentliche Diplomatie und strategische Angelegenheiten“ massiv in Kampagnen im Ausland investiert hatte, griff er im vergangenen Jahr zu drastischeren Mitteln: Am 22. Oktober 2021 gab der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz seine Entscheidung bekannt, sechs palästinensische NGOs ab sofort als terroristische Gruppierungen einzustufen. Darunter sind auch die beiden erwähnten Partnerorganisationen von medico. Dem Beispiel rechtsgerichteter, der Siedlerbewegung nahestehender Organisationen folgend, rief er zudem die internationale Gemeinschaft dazu auf, jede Unterstützung der Organisationen einzustellen und Kontakt zu ihnen zu vermeiden. Das (be-)trifft die EU, Geberländer, internationale und deutsche NGOs – und auch medico.

Bei den Anschuldigungen ging es nie um mangelnde Transparenz oder einen echten Verdacht der Terrorunterstützung durch die betroffenen Organisationen. Ihre Bücher werden jährlich von unabhängigen internationalen Auditing-Agenturen geprüft, ihre Arbeit vor Ort durch internationale Partner:innen begleitet. Ein Artikel in der israelischen Zeitung Haaretz vom 1. November 2021 zitierte eine Quelle aus israelischen Sicherheitskreisen mit der Aussage, der Hauptgrund für die Einstufung der sechs Organisationen sei die Absicht, die finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit zu sabotieren. Die Entscheidung folgt damit der seit Jahrzehnten praktizierten Besatzungslogik, die organisierten Teile der palästinensischen Gesellschaft, die sich nicht kooptieren lassen und Siedlungspolitik sowie Menschenrechtsverletzungen im Weg stehen, zu kriminalisieren. In der Besatzungsgeschichte zeugen davon insbesondere die nach 1967 erfolgte völkerrechtswidrige Deportation von Anwälten, Bürgermeistern und anderen Personen, die für die politische Organisierung als wichtig galten, sowie das militärisch dekretierte Versammlungsverbot, das bis heute in Kraft ist.

Diffuse Vorwürfe lassen sich kaum widerlegen

Die „Beweise“, die von israelischer Seite gegen die sechs Organisationen vorgelegt worden sind, wurden von einigen ausländischen Regierungen als unglaubwürdig oder nicht überzeugend bezeichnet. Die niederländische Regierung hingegen stellte im Fall von UAWC trotz einer Entlastung der Organisation durch eine eigens beauftragte externe Untersuchung die Unterstützung ein. Dem steht die öffentliche Zurückweisung der Anschuldigungen durch Regierungen wie die Belgiens, Frankreichs und Dänemarks gegenüber. Sie haben erklärt, ihre Unterstützung für die angegriffenen Organisationen fortzusetzen.

Und die Bundesregierung? Sie hat sich zur Beweiskraft des ihr übergebenen Materials bislang nicht öffentlich geäußert und sich stattdessen mit der israelischen Seite darauf verständigt, das Problem in einer deutsch-israelischen Arbeitsgruppe zu lösen. Die betroffenen palästinensischen Organisationen sind da nicht gefragt. Sie alle haben in Israel bzw. bei der israelischen Militärgerichtsbarkeit Rechtsmittel gegen die Einstufung als Terrorgruppen eingelegt. Die Erfolgsaussichten sind allerdings fraglich, weil das Gericht den staatlichen Behörden durchaus zugestehen könnte, angebliche Beweise nicht einmal der rechtlichen Vertretung der betroffenen Körperschaften zugänglich machen zu müssen. Eine effektive Verteidigungsstrategie wird sich so kaum erarbeiten lassen. Denn Vorwürfe, die im Dunkeln bleiben, lassen sich kaum widerlegen. Über den Parteien an der Seite des Rechts zu stehen – so stellen Gerichte in einer funktionierenden Demokratie die Gewaltenteilung sicher. In Israel hat der Oberste Gerichtshof jüngst gezeigt, dass es auch anders geht. Er hat entschieden, dem Staat zuzubilligen, was nach internationalem Recht verboten ist: im Süden der Westbank palästinensische Gemeinden zwangsumzusiedeln.

Unterdessen stützt medico vor allem UAWC mit weiteren Mitteln, um die Arbeit für Bauern- und Hirtenfamilien in den vollständig von Israel kontrollierten C-Gebieten des Westjordanlands fortsetzen zu können. Doch einmal mehr zahlen die Palästinenser:innen den Preis dafür, dass die israelische Staatsführung politisch motivierte Anschuldigungen verbreitet und es der sogenannten internationalen Gemeinschaft an Entschlossenheit fehlt, dem entgegenzutreten.

Dieser Beitrag ist Teil des medico-Jahresberichts 2021, den Sie hier online lesen und kostenlos bestellen können.

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


Jetzt spenden!