Südafrika

Der Tag danach

Über die Flutkatastrophe in KwaZulu Natal und was nun jenseits von Aufbauhilfe dringend gebraucht wird.

Von Julia Manek

Die Katastrophen nehmen kein Ende. Pandemie. Kriegsfolgen. Flut. In Südafrika hat sich in der Provinz KwaZulu-Natal das stärkste Unwetter seit einem Jahrhundert entladen. In der Region mit der Hauptstadt Durban sind in 48 Stunden zwischen 200 und 400mm Liter Regen pro Quadratmeter gefallen. Das sind 50% des Niederschlags eines „normalen“ Jahres. Der Regen hat inzwischen aufgehört. Doch die Folgen sind verheerend für Menschen und Umwelt.

Mehr als 40.000 Menschen wurden durch die Fluten obdachlos. Mehr als 400 Tote konnten bis dato offiziell erfasst werden. Immer noch sind Menschen vermisst. Die Bilder erinnern an die Flutkatastrophe rund um das Ahrtal: Überschwemmte Häuser, mitgerissene Autos und Erdrutsche, die ganze Straßen fortgespült haben. Anders als im Ahrtal trafen die Fluten nicht mehrheitlich auf befestigte Häuser, sondern vor allem informelle Siedlungen und Townships. Sie trafen die Most Marginalized am härtesten. Und sie treffen auf eine lange Vorgeschichte politischer Kämpfe und maroder Zustände.

Viele leben auch daher in – nun zerstörten – informellen Siedlungen, weil versprochene Wohnungsbauten nicht errichtet wurden. Die Bewegung Abahlali baseMjondolo (in Zulu: „Die in Hütten leben“) organisiert die Besetzung und Aneignung von Land für Siedlungen im städtischen und peripheren urbanen Raum. Abahlali organisieren all jene, die in Ausbeutung und Armut leben. Innerhalb der „Informal Settlements“ versuchen sie würdige Lebensbedingungen umzusetzen und diese politisch zu erstreiten.

Bevor die Räumfahrzeuge und Rettungskräfte der Regierung eintrafen, handelten viele Communities selbst, suchten nach Vermissten, bargen Verletzte und Tote. Immer noch sind ganze Gemeinden von Trinkwasser- und Stromversorgung abgeschnitten.

Nothilfe mit Perspektive

Erst vor kurzem waren meine medico-Kollegin Usche Merk und ich genau in der Region, die von der „Regenbombe“ getroffen wurde. Mit unseren Partner:innen von SINANI Survivors of Violence haben wir die marginalisierten Gemeinden der Townships am Rand der Metropolregion um Durban besucht. Auch jetzt stehen wir mit SINANI in engem Kontakt und unterstützen sie in der Bewältigung der Flutfolgen.

In der Provinz KwaZulu Natal sind durch die Zerstörungen derzeit 270 000 Schüler:innen von Schulschließungen betroffen. SINANI organisiert Suppenküchen und sichere Schlafplätze für rund 50 Schüler:innen und ihre Familien. 12 von insgesamt mehr als 600 beschädigten Schulen werden aktuell von SINANI unterstützt. Dazu gehört nicht nur materieller Aufbau sondern auch psychosoziale Unterstützung. Simanga Sithebe, Direktor von SINANI, sagt dazu: „Jede Katastrophe geht mit psychischen Traumatisierungen und psychosozialen Erschütterungen einher. Wir müssen nicht nur dafür sorgen, dass es einen gerechten Wiederaufbau gibt. Sondern wir müssen auch für den Umgang mit der Hilflosigkeit angesichts des Verlustes der eigenen Lebensgrundlage und naher Menschen, des Schreckens der toten oder stark verletzten Körper Sorge tragen. Bei dieser Reichweite braucht es sprichwörtliche Hilfe zur Selbsthilfe. Es soll wieder ein Leben an bewohnbaren, lebhaften und lebenswerten Orten stattfinden können.“

Auch wenn es zuallererst kurzfristiger Nothilfe bedarf um das Leid der Betroffenen zu lindern, muss diese Nothilfe gleichzeitig den Aufbau langfristiger Perspektiven anstreben.

Doch die Betroffenen sind skeptisch. Es besteht Sorge, dass die evakuierten Menschen aus den betroffenen Gebieten in den provisorisch eingerichteten Unterkünften vergessen werden. Oder der Ausnahmezustand wie in der Vergangenheit auch von der Regierung zur Räumung der ungewollten Siedlungen genutzt wird.

Die Frage nach der Verantwortung.

Wer trägt die Verantwortung für die Flutkatastrophe? Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa sagte bei seinem Besuch im Katastrophengebiet: „Diese Katastrophe ist vom Klimawandel gemacht.“ Doch vielfach wird kritisiert, dass dies nur ein Teil der Wahrheit ist.

„Es passiert das, worauf wir die ganze Zeit hingewiesen haben“, sagt Klima-Aktivistin Bertha Chiroro von unseren Partner:innen GenderCC. Gleichwohl wurde nicht nur vor den Folgen des Klimawandels gewarnt. Die mangelnde Instandhaltung städtischer Infrastruktur, das Verfallenlassen kommunaler Güter und der Abbau sozialer Absicherungen sind ebenso Ursache der jetzigen Lage wie die ungerechte Landverteilung. All diese Faktoren haben die Katastrophe vergrößert.

Schon 2019 gab es eine „Regenbombe“ in KwaZulu Natal. Auch damals waren die Folgen desaströs. Doch nun in 2022 sind sie noch verheerender. Simanga Sithebe, Direktor von SINANI, sagt dazu: „Es wurde nichts dazugelernt. Die Siedlungen, die die Flut überstanden haben, sind jene, die vor zehn Jahren gebaut wurden. Stattdessen sind es die neuen Bauten, die zusammengebrochen sind.“

Weil dies alles eben nicht überraschend, sondern sehr wohl vorsehbar war und vorhergesagt wurde, argumentieren die Aktivist:innen der Climate Justice Coalition sogar, dass die südafrikanische Regierung direkt für die Toten in KwaZulu Natal verantwortlich ist. Sie wollen Präsident Ramaphosa und andere Politiker:innen nun wegen fahrlässiger Tötung verklagen. Sollte dies gelingen, wäre das ein Novum und bahnbrechend für alle kommenden Katastrophen dieser Art.

Trotzdem reicht die Verantwortung auch über Südafrika hinaus. Der menschgemachte Klimawandel ist nicht „von allen gleich“ verursacht: Stattdessen sollte angesichts dieser und kommender Katastrophen nicht vergessen werden, das die hochindustrialisierten und wohlhabenden Staaten die Hauptverantwortung für den globalen ökologischen Zusammenbruch tragen. Eigentlich stehen sie in der Schuld der Länder des Globalen Südens. Kein Green New Deal kann das ändern. Statt von „Klima-Resilienz“ zu sprechen, braucht es Klimagerechtigkeit.

Klima. Gerechtigkeit.

Dazu, wie ein gerechter Wiederaufbau aussehen kann, bestehen bereits viele Forderungen und Ideen. Aus den Erfahrungen des jahrzehntelangen Kampfes erst gegen das Apartheid-Regime und der dann nachfolgenden neoliberalen Post-Apartheidspolitik der „Regenbogennation“ und dem African National Congress (ANC) wurde gelernt worauf das Augenmerk liegen muss:

Abahlali fordern nicht nur Mittel für die Wiedergutmachung von Verlusten und Schäden, sondern auch notwendige Investitionen in die Klimasicherheit armer Gemeinden und den generellen Ausbau von städtischer Infrastruktur. Auch unsere Partnerorganisation SINANI hat dazu eine klare politische Vision. Simanga Sithebe sagt: „Als jemand, der selbst in einer Hüttensiedlung aufgewachsen ist, weiß ich wie sehr die Lebensbedingungen der informellen Siedlungen die Würde der Menschen angreifen. Das ist auch eine Frage des Systems: Ist es angemessen, dass in einer Demokratie mit einer so progressiven Verfassung wie der südafrikanischen für die Armen nur Infrastrukturen und Dienstleistungen bereitgestellt werden, die ihnen ihre Würde rauben? In einem Jahr sind hier Wahlen und man merkt, wie sehr jetzt schon mit der Flut Politik gemacht wird. Jetzt müssen wir die kritischen Forderungen nach einem demokratischen System stärken, das einen Menschen nicht nur als eine bloße Stimme bei Wahlen begreift und auf der Ausbeutung von Natur und menschlichem Leben aufbaut.“

Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als den jetzt anstehenden Wiederaufbau zu nutzen, um die Segregation des Apartheids-Städtebaus aufzubrechen und dadurch einen bisher versäumten Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit und dem Recht auf Stadt nachzuholen. Die hier zu leistende Hilfe bietet damit noch keine Antwort auf den globalen Klimawandel, ist aber eine Hilfe die über den Horizont des day after weit hinauszuweisen in der Lage ist.

 

Für die Not- und Wiederaufbauhilfe unserer Partner in Südafrika bitten wir um Ihre Spende

Veröffentlicht am 22. April 2022

Julia Manek

Julia Manek ist Psychologin und Humangeographin. In der Öffentlichkeitsarbeit von medico international ist sie als Referentin für psychosoziale Arbeit tätig.


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