WHO kritisch beobachten

Medico unterstützt die WHO-Watchers – ein Projekt des People’s Health Movement

Nur über ein Viertel des Haushalts kann die Weltgesundheitsorganisation (WHO) tatsächlich entscheiden. Den Großteil machen projektgebundene Gelder einzelner Mitgliedsstaaten oder privater Akteure aus. Die Finanzierung der WHO steht symbolisch für die Finanzierung der Gesundheitssysteme in vielen ärmeren Ländern und dem was Europa blüht, wird die Kürzungspolitik fortgesetzt. Eine kritische Beobachtung der Akteure, die die globale Gesundheit beeinflussen, ist dringend geboten. Medico unterstützt die WHO-Watchers – ein Projekt des People’s Health Movement.

Sich durch alle Vorlagen der Weltgesundheitsversammlung durchzuarbeiten ist nicht ohne. Viele Seiten Papier, eng bedruckt, viele Abkürzungen. Alice aus Italien ist zum vierten Mal Teil des WHO-Watchers-Team. Sie weiß mittlerweile welche Dokumente sie besonders kritisch lesen muss und welchen Punkten auf der übervollen Agenda der WHO man besonders viel Aufmerksamkeit schenken sollte. Seit 2011 „beobachten“ die WHO-Watchers die Versammlungen der Weltgesundheitsorganisation. Medico hat das Projekt von Anfang an gefördert. In Workshops bereiten sich junge Gesundheitsaktivisten aus aller Welt, meist eine überschaubare Gruppe von bis zu zehn Teilnehmern, auf die Sitzungswoche vor. Alle Dokumente werden gemeinsam systematisch analysiert, Kommentare dazu aufbereitet und eingereicht, um auf der offiziellen Sitzung verlesen zu werden. Alle Delegierten erhalten ein Dokument mit einer Analyse zu jedem relevanten Punkt auf der Tagesordnung – per Email oder persönlich überreicht. Begleitet und unterstützt werden die Watcher dabei von Aktiven aus NGOs oder Wissenschaft, die oft schon seit Jahrzehnten die WHO-Prozesse kritisch begleiten. Sie alle verstehen sich als Mitglieder des People’s Health Movement – ein globales Netzwerk von Organisationen und Wissenschaftlern. Die Grundlage des Handelns bildet die Gesundheitscharter der Menschen, welche Ende 2000 auf der ersten People’s Health Assembly gemeinsam mit über 1400 Menschen aus aller Welt entwickelt wurde. Sie bildet auch das Fundament für die kritische Beobachtung der WHO.

Piraten im Palais des Nations

Nicht nur hinter den Türen des beeindruckenden UN-Gebäudes in Genf soll der Einfluss der sogenannten Zivilgesellschaft gestärkt werden. Transparenz schaffen und Teilnahme ermöglichen – auch für diejenigen die nicht den weiten Weg nach Genf kommen können ist das Ziel. Viele Mitarbeiter von NGOs oder Gesundheitswissenschaftler nutzen die Chance sich online zu der Weltgesundheitsversammlung hinzuzuschalten. Eine Life-Schaltung der WHO gibt es nicht: Die Watcher tippen alle Beiträge auf der Weltgesundheitsversammlung in ihre Computer in ein Instant-Messaging-Programm. Jeder kann sich hinzuschalten, kommentieren und Vorschläge für offizielle Kommentare machen. Viele schätzen diese Möglichkeit. Ob Südafrika, Ghana oder Australien – eine Reise nach Genf ist vielen nicht möglich. Verfolgen was in Weltgesundheitsorganisation besprochen und entschieden wird möchte man trotzdem. Piraten im Parlament der Nationen machen es möglich.

Doch die Einflussmöglichkeiten von zivilgesellschaftlichen Bewegungen wie dem People’s Health Movement sind begrenzt. Zwar können sie auf den Besuchergalerien die knapp 200 Mitgliedstaaten der WHO beobachten und Kommentare verlesen. Wohin das Geld fließt und welche globalen Programme entwickelt werden, können jedoch selbst die Delegierten nicht mehr mitentscheiden. Seit den 80er Jahren wurde der Haushalt der WHO eingefroren. Die projektungebundenen Pflichtbeiträge der Mitgliedsländer machen nur noch ein Viertel des gesamten Etas aus – das reicht gerade mal um die Büros und die Angestellten zu finanzieren. Ob ein großes vertikales Impfprogramm gefahren wird oder doch lieber die Gesundheitssysteme nachhaltig gestärkt werden, kann die WHO schon lang nicht mehr entscheiden (siehe „Die Macht des Geldes“ von Thomas Gebauer).

Der Staat erledigt die Kernaufgaben und das operative Geschäft wird durch den Markt geregelt. Dieser neoliberale Umbau der Gesundheitsversorgung wird seit geraumer Zeit von globalen Finanzakteuren wie dem IWF, aber auch vielen Regierungen, gefördert. Die öffentlichen Gesundheitsbudgets werden im Rahmen von Schuldenrückzahlungen massiv zusammengekürzt - Privatisierung als Lösung für die so entstehenden Finanzierungsnöte angepriesen. Zu beobachten ist das gerade ganz in unserer Nähe: In Griechenland, Spanien und vielen anderen Ländern der europäischen Peripherie. Doch auch in Deutschland kommen die Länder ihren öffentlichen Investitionskosten nicht nach. Mit knapp einen Drittel privatisierter Krankenhäuser ist Deutschland dadurch Weltklasse.

Eine ausreichende Finanzierung durch öffentliche, demokratisch verwaltete Gelder ist die Grundlage für qualitativ gute Gesundheitssysteme – bei der WHO und in jedem Land der Welt. Eine kritische Beobachtung der Akteure, welche über unsere Gesundheit bestimmen ist sicherlich ein guter Anfang. Die Frage wie in einer globalisierten Welt, in welcher die Entscheidungsebenen immer weiter von den Menschen wegrücken, Demokratie aussehen kann, löst sie nicht.

Veröffentlicht am 17. Mai 2013

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