Was bedeutet TTIP?

Warum das Freihandelsabkommen weder Gesundheit noch Wohlstand bringen wird

medico unterstützt das Bündnis TTIP unfairhandelbar und hat gemeinsam mit dem People's Health Movement Argumente gegen das geplante Freihandelsabkommen gesammelt.

Die Europäische Kommission kündigte am 17. Juni 2013 den Verhandlungsbeginn für ein weitreichendes Handelsabkommen an: die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) oder auch Transatlantisches Freihandelsabkommen (TAFTA). Die sechste Runde dieser Verhandlungen ist für Juli 2014 in Brüssel angesetzt. Ziel und Inhalt von TTIP sind die Liberalisierung von Handel und Investitionen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten, die insgesamt rund 40% der globalen Wirtschaftsleistungen ausmachen. Bis Ende 2014 soll „das größte Handelsabkommen der Welt“ abgeschlossen werden.

Wird TTIP wirtschaftliches Wachstum bringen und für wen?

In den Debatten über Handelsliberalisierung wird immer wieder auf den internationalen Wettbewerbsdruck verwiesen und damit begründet, dass Liberalisierung unvermeidbar sei. Länder werden dazu gezwungen, mit der Handelspolitik nur noch die Interessen privater Investoren zu schützen. Auch im Fall von TTIP ist das Hauptargument das Versprechen, dass es wirtschaftliches Wachstum geben werde. Dabei zeigen sogar Studien der TTIP-BefürworterInnen, dass dieses Versprechen nicht eingehalten werden kann. Und selbst wenn es Wachstum geben sollte, haben die Ärmsten der Welt kaum etwas davon, solange die armen und reichen Länder weiter so ungleich von der Globalisierung profitieren. Auch in reichen Ländern ist das reine Wirtschaftswachstum wenig aussagekräftig für die Bevölkerung, wenn Verteilungsfragen außen vor bleiben.

In den 90er Jahren versprach Bill Clinton Millionen von Arbeitsplätzen, die das Nordatlantische Handelsabkommen (NAFTA) schaffen sollte. Heute ist das Resultat von 20 Jahren NAFTA der Verlust von nahezu einer Million Arbeitsplätzen in den USA. In Mexiko trieb der Wettbewerb mit den US-amerikanischen Marktpreisen zahllose Maisbauern in den Ruin. 1,4 Millionen bäuerliche Betriebe mussten in gerade einmal 10 Jahren schließen. NAFTA gilt als maßgebliche Vorlage von TTIP. Warum sollte es dieses Mal anders ablaufen?

Warum hat TTIP Einfluss auf die soziale Sicherheit?

Offene Wirtschaftssysteme können sich schlechter gegen Wirtschaftsschwankungen oder externe Schocks schützen und sind deshalb oft wirtschaftlich instabiler. Diese Instabilität führt wiederum dazu, dass die Menschen stärker auf soziale Sicherungssysteme angewiesen sind, da ihre Gesundheitsrisiken durch psychologischen Stress und schlechtere materielle Bedingungen steigen.

Die sozialen Sicherungssysteme sollten dem eigentlich entgegenwirken und dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Gewinne der Globalisierung durch Umverteilung auch marginalisierten Bevölkerungsgruppen zugute kommen. Das Gegenteil ist im Moment in der Europäischen Union der Fall: Kürzungen der sozialstaatlichen Fürsorge werden als Lösung für wirtschaftliche Instabilität gehandelt. In Zeiten der Eurokrise sehen wir die drastischen Folgen solcher Sparprogramme in Südeuropa, zum Beispiel in Spanien und Griechenland.

Was sind Mechanismen zur Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten?

TTIP soll fragwürdige Mechanismen zur Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten beinhalten. Sie ermöglichen es Unternehmen, Staaten für den Verlust aktueller oder zukünftiger Profite zu verklagen. Ein bilaterales Handels- und Investitionsabkommen, das solche juristischen Regeln beinhaltet, kann sich deshalb auf die staatliche Souveränität, auch im Gesundheitsbereich auswirken und die politischen Handlungsmöglichkeiten des öffentlichen Sektors einschränken. Dafür gibt es bereits einige Präzedenzfälle.

Beispiele für Auswirkungen von Freihandelsabkommen

• Freihandelsabkommen und Gesundheitswesen

Als Australien eine verpflichtende Kennzeichnung von Zigaretten mit schockierenden Gesundheitswarnungen beschloss, verklagte der Tabakkonzern Philip Morris den australischen Staat vor einem Schiedsgericht auf Grundlage eines Freihandelsabkommens mit Hongkong.

• Freihandel gegen Soziale Sicherheit

Während der Krise in Argentinien fror die Regierung im Rahmen ihrer Schuldenbekämpfungspolitik die Preise von Wasser und Strom ein. Dafür wurde sie von Versorgungsunternehmen erfolgreich auf Schadensersatz in Höhe von mehreren Hundert Millionen Dollar verklagt.

• Freihandel gegen Umwelt

In El Salvador überzeugten einige Gemeinden ihre Regierung davon, der kanadischen Pacific Mining Corperation die Konzession für den Goldabbau zu entziehen. Das Unternehmen verklagt nun den Staat El Salvador auf 315 Millionen Dollar Schadensersatz für den Verlust seiner erwarteten zukünftigen Profite.

Der schwedische Stromkonzern Vattenfall strengte 2012 ein Schiedsgerichtsverfahren gegen Deutschland an wegen der deutschen Entscheidung für den Atomausstieg.

Was passiert mit der Gesetzgebung im Gesundheitsbereich?

Am 12. März 2014 äußerte sich der EU-Handelskommissar Karel de Gucht zu den laufenden TTIP-Verhandlungen: „Ich habe es schon hundertmal gesagt. Wir werden kein Hormonfleisch aus den USA auf unseren Tellern zulassen!“ Ein halbes Jahr vorher hatte eine US-amerikanische Lobbygruppe allerdings bereits verlauten lassen: „die strikten europäischen Marktregulationen könnten mehr als 40 Milliarden Dollar oder 40 % der US-amerikanischen Landwirtschaftsexporte in die Europäische Union blockieren. Das ist ein Risiko für die TTIP-Verhandlungen“.

Das Ziel des transatlantischen Handelsabkommens ist die „Harmonisierung“ von Handelsbestimmungen. Aber was bedeutet „Harmonisierung“ in der Praxis? Werden die Standards erhöht und das europäische Vorsorgeprinzip respektiert? Oder werden die amerikanischen Standards übernommen? Für den Gesundheitsbereich gilt, dass bilaterale oder regionale Freihandelsabkommen noch nie zur Stärkung von Gesundheitsrechten gedient haben - ganz im Gegenteil! Warum sollten wir diesmal daran glauben, dass es anders wird?

Beispiel Fracking: Welche Auswirkungen hat TTIP auf den Umweltschutz?

Auch über Fracking wird im Rahmen des EU-US Freihandelsabkommen verhandelt. In Lateinamerika erweisen sich Fracking-Projekte als Bedrohung für Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung. Pro Bohrung werden zwischen vier und 30 Millionen Liter Wasser verbraucht. Zwischen 80 bis 300 Tonnen krebserregender Substanzen werden dabei verwendet bzw. freigesetzt, darunter Benzol, Toluen, Ethylbenzol und Xylen. Das gefährdet die Gesundheit der Bevölkerung in der Umgebung. Fracking verursacht Umwelt- und Wasserverschmutzung und führt zum Verlust von Biodiversität.

Was bedeutet TTIP also für uns?

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass TTIP Wohlstand für eine Mehrheit der Bevölkerung mit sich bringen wird. Die Beispiele der bereits bestehenden Freihandelsabkommen zeigen, dass diese eine Bedrohung für Wohlstand und Gesundheit der Menschen sowie für die Umwelt darstellen. Darüber hinaus führt das Freihandelsabkommen quasi irreversible Schutzmechanismen für Investoren ein, die die Grundprinzipien der Demokratie ernsthaft in Gefahr bringen. Politische EntscheidungsträgerInnen sind daher in der Pflicht, jetzt die richtigen Prioritäten zu setzen. Wenn Freihandelsabkommen erst einmal unterzeichnet sind, sind sie effektiv nicht wieder rückgängig zu machen. Deshalb müssen sich die PolitikerInnen die Konsequenzen des Abkommen vor der Unterzeichnung klar vor Augen halten – ganz besonders in Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung und andere entscheidende soziale Sicherungsdienste.

Regierungen als Vertretung der Bevölkerung sind dazu verpflichtet, das Recht der Bevölkerung auf Gesundheit zu garantieren. Deshalb sollte im Fall von TTIP das Vorsorgeprinzip gelten: So lange nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gesundheit der Menschen dadurch gefährdet wird, darf kein Abkommen unterzeichnet werden.

Natalie Van Gijsel, M3M für das PHM Europe

Übersetzung und Adaption: Laura Kaluza

Veröffentlicht am 26. Mai 2014

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