Von der Nothilfe zum Wiederaufbau

Ein Jahr nach der Flut in Pakistan

Als im August 2010 ein Fünftel Pakistans im Hochwasser versank, konnte der medico-Partner Health and Nutrition Development Society (HANDS) aufgrund seiner lokalen Verankerung und seines Netzes von Regionalbüros schnell auf die steigende Flut reagieren. In abgelegenen Landstrichen waren die Kolleginnen und Kollegen von HANDS die Ersten und Einzigen – lange bevor die Armee kam.

Alle verfügbaren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie rund 10.000 Freiwillige waren viele Tage und Nächte im Einsatz. Zudem mietete HANDS Boote und Traktoren mit großen Anhängern, um die Menschen aus den gefährdeten Zonen an sichere Orte zu bringen. Der medico-Partner arbeitet schon seit über dreißig Jahren in den Provinzen Sindh und Belutschistan.

Siebzig Prozent seiner rund 1.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und drei von sieben Beschäftigten im Management der Organisation – sind Frauen. Mit finanzieller Unterstützung u. a. von medico evakuierten unsere pakistanischen Kollegen und Kolleginnen bereits in den ersten Tagen der Flut 80.000 Menschen. Dazu errichteten sie fünf Flüchtlingslager im Norden der Provinz Sindh und vier weitere im Süden in der Region Thatta. In jedem Camp stellte HANDS Nahrungsmittel und Trinkwasser, Latrinen und Zelte bereit, organisierte die medizinische Versorgung und den Unterricht für die Kinder. Damit die Bauern ihr gerettetes Vieh nicht verloren, sorgte die Organisation für das Futter und die Impfung der Tiere. Auch Hilfen für die Rückkehr der Flüchtlinge waren enthalten.

Gelungene Kooperation in der Not

Die insgesamt rund 54.000 Menschen in den Camps mussten selbst mit anpacken. HANDS stärkt die Eigeninitiative der Flutopfer, um zu vermeiden, dass sie zu passiven Hilfsempfängern degradiert werden und sich ihre Ohnmacht noch verlängert. „In jedem Nothilfe- Camp bilden die Betroffenen ein Komitee, das uns als Ansprechpartner dient und die Registrierung der Betroffenen, das Errichten der Latrinen, Kochen, Sauberkeit etc. selbst organisiert“, berichtet Dr. Shaista. Gemeinsam mit ihren beiden Kolleginnen kümmerte sich die Ärztin um die medizinische Versorgung und die Gesundheitsaufklärung. Die Projekte von HANDS sind auf Probleme wie die hohe Müttersterblichkeitsrate und die oft unzureichenden Bildungsmöglichkeiten für Mädchen spezialisiert. Daher setzt die Organisation viele Frauen ein.

Wenn sich der freundliche pakistanische Militärarzt im Flutgebiet beklagt, dass sich die Frauen nicht mit ihren wirklichen Gesundheitsproblemen an ihn wenden und die Verständigung mit den Armen in der Provinz Sindh schwierig ist, weil sie nicht die offizielle Landessprache Urdu sprechen,

dann wird die Bedeutung lokaler Ärztinnen und Gesundheitspromoterinnen klar. Denn die vielfältigen Nothilfemaßnahmen von HANDS funktionieren nur deshalb so gut, weil die Organisation in der Region schon seit Jahrzehnten Basisgesundheitsarbeit leistet, eine Freiwilligenstruktur aufgebaut hat und mit der Lage der Menschen vertraut ist. Ohne solche Partner und ohne Selbsthilfestrukturen vor Ort kann Hilfe von außen tatsächlich nur wenig bewirken. Zudem war es von zentraler Bedeutung, dass medico auf die langjährige Zusammenarbeit mit HANDS im Rahmen des People’s Health Movement, einem weltweit tätigen Netzwerk lokaler Gesundheitsorganisationen, aufbauen konnte. So waren wir zusammen mit den pakistanischen Kolleginnen und Kollegen sehr schnell imstande, vielen Menschen in der Not zur Seite zu stehen.

Mittlerweile sind die Fluten in den meisten Gegenden des Sindh abgeflossen. Zwar kehrten zahlreiche Binnenflüchtlinge in ihre Dörfer oder in die Nähe ihrer zerstörten Häuser zurück. Doch ist die Zukunftsperspektive vieler Millionen Menschen in Pakistan auch nach der Flut offen und prekär.

Wiederaufbau und Landreform

Die meisten haben in der Flut ihr Saatgut, ihr Vieh und ihre Werkzeuge verloren. medico unterstützt daher den langfristigen Plan zur Wiederaufbauhilfe von HANDS.

Schon Anfang 2011 hatten die Kolleginnen und Kollegen vier Dörfer im Distrikt Kashmore und fünf Dörfer in der Region Thatta für insgesamt rund 800 Familien wieder aufgebaut. Jede Familie erhält ein kleines Haus mit Veranda und Küche, Wasser- und Sanitäreinrichtungen, Anteil an der gemeinsamen Dorfinfrastruktur, Anschubfinanzierung für Landwirtschaft oder die Eröffnung eines kleinen Betriebes, Teilnahme an Bildungsprogrammen und Gesundheitsversorgung.

Neben dem Wiederaufbau von Dorfinfrastruktur, Gebäuden und Bewässerungssystemen müssen nun aber auch politische Reformen angestoßen werden, um die Menschen nicht einfach wieder in ihr altes Elend zurückzuschicken. Vielerorts herrschen auf dem Land noch feudalistische Strukturen und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen. Daher unterstützt medico die politischen Forderungen der Landlosen, die sich für eine Landreform einsetzen. Dr. Tanveer, Geschäftsführer von HANDS, schränkt allerdings ein: „Das ist eine langwierige Aufgabe. Ein Großteil der Abgeordneten und Minister gehört selbst zu den Großgrundbesitzern und hat kein Interesse an einer Umverteilung.“

Planungen

Durch die zahlreichen Spenden konnten wir die Nothilfeaktivitäten und die erste Phase der Wiederaufbauprogramme (TAMEER I) unserer Partnerorganisation HANDS im vergangenen Jahr mit 1.145.552,88 € fördern. Auch in den Distrikten Jacobabad und Jamshoro wird es nun ein umfassendes Rehabilitierungs- und Wiederaufbauprogramm geben. Zurzeit wird mit HANDS die Rehabilitierung von etwa zwanzig Dörfern vorbereitet.

Im Sinne des Konzepts der kritischen Nothilfe, die auf die nachhaltige Überwindung von Not und Elend zielt, wird medico über die unmittelbare Nothilfe hinaus nicht nur die langfristigen Wiederaufbauarbeiten unterstützen, sondern auch die langwierige Durchsetzung der politischen Forderungen der Landlosen begleiten und sich für soziale Reformen stark machen.

Die bewährte Zusammenarbeit mit der pakistanischen Partnerorganisation HANDS soll dazu um Kooperationen mit anderen Partnerorganisationen ergänzt werden. Gemeinsam mit terre des hommes wird medico international ein Projekt des Pakistan Institute for Labour Education & Research (PILER) fördern. PILER plant eine intensive Lobby- und Anwaltschaftsarbeit im Bereich der Landrechte, sowie für soziale Absicherung und Gerechtigkeit vor dem Hintergrund der mangelnden staatlichen Unterstützung für Arme und Flutopfer.

Konkrete Verhandlungen werden seit März 2011 außerdem mit dem Sindh Labour Relief Committee (SLRC) und der Omar Asghar Khan Foundation (OAKDF) geführt.

Warum wir um dauerhafte Unterstützung bitten

Es wird Jahre dauern, um auf die Verheerungen, die in Pakistan heute zu beklagen sind, eine wenigstens in Ansätzen annehmbare Antwort zu finden. Umso ermutigender ist es, dass sich Menschen in aller Welt für die Opfer in Pakistan engagiert haben. Allen Entsolidarisierungs­tendenzen zum Trotz haben sie klargestellt, dass sie nicht auf etwas verzichten wollen, was Menschlichkeit eben auch aus­macht: ein tätiges solidarisches Miteinander.

Katastrophen immer auch von Menschen gemacht

Katastrophen sind immer auch von Menschen gemacht. Selbst Naturgewalten, die Haiti erschüttert und Pakistan überflutet haben, können sich nur deshalb so dramatisch auswirken, weil sie auf Menschen treffen, die ihnen hilf- und schutzlos ausgeliefert sind: auf Slum­bewohner, die in baufälligen Häusern leben müssen, auf mittellose Kleinbauern, die von der Hand in den Mund leben, auf Leute, denen weder funktionierende Frühwarnsysteme noch öffentlicher Katastrophenschutz zur Verfügung stehen.

Überwindung von Not hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit

So wichtig die unmittelbare Linderung von Not ist, zielt medico mit seiner Unterstützung doch immer auch auf die nachhaltige Überwindung von Elend und Abhängigkeit. Notwendig sind eine wirksame Armutsbekämpfung, die dauerhafte Verbesserung von Wohnverhältnissen, die Schaffung von öffentlichen Einrichtungen, die auch im Augenblick besonderer Heraus­forderungen verlässliche Unterstützung bieten. Solche Hilfen mischen sich in die politischen Realitäten eines Landes ein und drängen auf soziale Gerechtigkeit und demokratische Par­tizipation.

Globale Vernetzung, die in der Katastrophe ihre Handlungsfähigkeit beweist

Von zentraler Bedeutung für dieses Engagement ist ein weltweit tätiges Netzwerk lokaler Gesundheitsorganisationen, das People’s Health Movement, dem auch medico angehört. Die Stärke dieser über alle Grenzen hinweg zusammenarbeitenden Assoziation zeigt sich nicht zuletzt in Katastrophen wie in Haiti und Pakistan. Mit finanzieller Unterstützung von medico haben unsere pakistanischen Kolleginnen und Kollegen von HANDS bereits in den ersten Tagen der Flut 80.000 Menschen evakuiert. Flüchtlingslager entstanden, mobile medizinische Dienste und umfangreiche Verteilungsaktivitäten wurden in Gang gesetzt. Dies alles funktionierte nur deshalb so gut, weil HANDS seit Jahrzehnten in der Region Basisgesundheitsarbeit leistet, eine Freiwilligen-Struktur aufgebaut hat und mit der Lage der Menschen vertraut ist. Ohne solche Partner vor Ort, ohne Selbsthilfestrukturen kann Hilfe, die von außen kommt, wenig bewirken. So aber waren wir zusammen mit den pakistanischen Kolleginnen und Kollegen imstande, vielen Menschen auch in der Not zur Seite zu stehen.

Was vernetzte Gesundheitsarbeit jenseits von Katastrophen bedeutet

Zum Selbstverständnis des People´s Health Movement gehört nicht allein die Kooperation im Falle von Katastrophen. Gemeinsam arbeiten wir gerade am dritten alternativen Weltgesundheitsbericht, dem Global Health Watch, der Daten und Fakten zur gesundheitlichen Lage in der Welt zusammenträgt und aus zivilgesellschaftlicher Perspektive bewertet. Der Bericht wird ebenso aus medico-Spenden gefördert wie die Kurse der International People´s Health University. Diese Fortbildungseinrichtung des People´s Health Movement schult in Asien, Afrika und Lateinamerika Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Gesundheitsfachleute in Fragen der Basisgesundheitsversorgung und eines menschenrechtlichen Gesundheits­verständnisses. Um den Verhältnissen, die der Respektierung des Menschenrechts auf Gesundheit entgegen­stehen, wirkungsvoll begegnen zu können, haben wir in den letzten Jahren gezielt auch auf die Stärkung des People’s Health Movement gesetzt. Wie sinnvoll dies gewesen ist, zeigt sich nun auch in Zeiten der Katastrophe. Wie medico international ist auch HANDS als Teil der globalen Gesundheitsbewegung in internationalen Netzwerken wie dem People´s Health Movement und dem Weltsozialforum aktiv.

Spenden oder Fördermitgliedschaft

Für unser Bemühen, Not und Abhängigkeit nachhaltig zu überwinden, brauchen wir auch künftig Ihre Mithilfe. Vor allem dann, wenn die Fernsehkameras wieder abgeschaltet sein werden. Deshalb unsere Bitte: unterstützen Sie unsere langfristigen Aktivitäten, die letztlich dafür sorgen, dass auch in der Not eine schnelle und wirksame Hilfe möglich ist. Ganz be­sonders würden wir uns freuen, wenn Sie sich zu einer Fördermitgliedschaft entschließen, die uns und unseren Partnern eine größere Verlässlichkeit bei der Planung und Verwirklichung von Hilfsprogrammen gibt.

Für den langfristigen Wiederaufbau und die Auseinandersetzungen für soziale Reformen unserer Partnerorganisationen in Pakistan bitten wir um Spenden:

Spendenkonto von medico international:

Konto-Nr. 1800
Frankfurter Sparkasse
BLZ 500 502 01
Stichwort "Pakistan"

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medico international ist als gemeinnütziger Verein anerkannt. Ihre Spende ist daher steuerlich absetzbar.

 

Spendensiegel

medico ist Träger des »DZI-Spendensiegels«, das vom Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI) verliehen wird. Damit bescheinigte das Institut medico: »eine satzungsgemäße Arbeit. Werbung und Information sind wahr, eindeutig und sachlich. Mittelverwendung und Mittelbeschaffung sowie die Vermögenslage lassen sich anhand der Rechnungslegung nachvollziehen. Der Anteil der Werbe- und Verwaltungskosten an den Gesamtausgaben ist nach DZI-Kriterien angemessen. Eine Kontrolle des Vereins und seiner Organe ist gegeben.« • www.dzi.de

 

Veröffentlicht am 13. August 2011

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