Von den Textilfabriken in Pakistan auf die Frankfurter Zeil

Rede zum Aktionstag Umfairteilen am 29.9.2012 in Frankfurt von Anne Jung

Es ist gerade zwei Wochen her, da erfuhren wir von dem Brand einer Textilfabrik im pakistanischen Karatschi. Über 250 Menschen verloren in den Flammen qualvoll ihr Leben. Wir bei medico international wurden von unseren Partnern informiert, von Gewerkschaftern, die versuchen, die Arbeiterinnen und Arbeiter der Weltmarktfabriken zu organisieren. Von ihnen erfuhren wir auch, dass die abgebrannte Fabrik wie hunderte andere Fabriken Karatschis auch Jeans und Jacken für den europäischen und für den deutschen Markt produzierte. Auftraggeber unter anderem: der Textildiscounter KiK, dessen Billigmärkte sich in den Einkaufszentren unserer Städte finden.

Das globale Geschäft der Ausbeutung rechnet sich, wenn die Menschen, die Hosen für KIK nähen, dafür nur 2 Dollar täglich erhalten, weil sie ihren Einstellungsvertrag nicht ausgehändigt bekommen und deshalb weder Rentenansprüche noch ihr Recht auf Krankenversicherung geltend machen können.

Das Geschäft rechnet sich, wenn die gewerkschaftliche Organisierung – wie sie von unseren Partnern in Karatschi versucht wird – durch Repression zur lebensbedrohlichen Sache wird. Damit das aufhört, muss nicht nur in Karatschi, sondern auch in Frankfurt demonstriert werden.

Dieses Unglück zeigt, was neoliberale Globalisierung ist und wie sie funktioniert. Das betrifft nicht nur das Elend der Menschen des globalen Südens, sondern auch das Elend der Menschen hierzulande. Immer mehr Kunden von KiK sind auf Billigware angewiesen. Im Gang zu KiK kommen 30 Jahre Sozialabbau in Deutschland auf den Punkt.

Mit Steuerentlastungen für Spitzeneinkommen, für Kapitalerträge und Vermögen, aber auch mit der Liberalisierung des Handels schafften die Regierungen der letzten Jahrzehnte die Voraussetzungen dafür, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter vertiefte.

Die Zahlen für Deutschland: Ein Prozent der reichsten Deutschen verfügt über mehr als 35 Prozent des Gesamtvermögens, die Hälfte der Gesamtbevölkerung hingegen über praktisch gar keins.

Die Umverteilung von unten nach oben muss umgekehrt werden. Dafür brauchen wir die Vermögensabgabe und die Einführung einer Reichensteuer.

Für globale solidarische Umverteilung

Hat die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich schon in den wohlhabenden Industrienationen fatale Folgen, so sind durch sie Abermillionen von Menschen in den armen und ärmsten Ländern der Welt schlichtweg vom Tode bedroht.

Deshalb darf die Kampagne Umfairteilen an den Grenzen Europas nicht halten machen. medico international fordert gemeinsam mit seinen Partnern überall auf der Welt, gemeinsam auch mit den Aktivist_innen von attac, eine globale solidarische Umverteilung.

Auch im Süden verlangen die sozialen Bewegungen schon seit Jahren ihren Anteil am verfügbaren Reichtum der Welt: „Unsere Diamanten, unser Geld“ lautet ein Slogan der Sozialproteste im rohstoffreichen Simbabwe, die sich für faire Löhne in den Diamantenminen, den Zugang zu Gesundheit und gegen die Bereicherung der politischen Eliten einsetzen. Es geht um die Erfüllung der sozialen Bedingungen von Gesundheit – Einkommen bzw. Zugang zu Land, angemessene Ernährung und menschenwürdige Wohnverhältnisse.

Als in Angola bekannt wurde, dass die angolanische Regierung jedes Jahr eine Milliarde USD in ihre privaten Kassen steckt, formierte sich zum ersten Mal seit Ende des Krieges eine größere Protestbewegung, die lautstark rief: „Wo sind unsere Milliarden, Herr Präsident?“ Die Menschen im rohstoffreichen Angola, das zugleich eines der ärmsten Länder der Welt ist, forderten ihre gesellschaftliche Teilhabe ein, die ihnen durch ein Netzwerk von Ausbeutung und Bereicherung vorenthalten wird. Das Netzwerk besteht aus einer politischen Elite im Land, korrupten Öl-Konzernen und Regierungen im globalen Norden, die solche Geschäfte auf Kosten der Bevölkerung Afrikas nicht verhindern und zulassen, dass das Geld des Volkes in den Steueroasen Europas verschwindet.

Wir brauchen einen weltweiten Solidarausgleich und fordern dafür auch internationale Abkommen gegen Steuerflucht und Steueroasen. Dies ist ein wichtiger Beitrag, damit Menschen in aller Welt ihr Recht auf Teilhabe durchsetzen können.

Einen Kontinent weiter fordern brasilianische Gesundheitsaktivisten eine Umverteilung der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit, gegen die Privatisierung und den mit ihr verbundenen Ausschluss der Mehrheit der Bevölkerung. Dies kann langfristig nur durch gerechte Handelsbedingungen und höhere Staatseinnahmen verwirklicht werden.

Wenn wir Umverteilen global denken, dann müssen auch die Handelsbeziehungen gerecht gestaltet werden.

Die neoliberale Umverteilung hat weltweit entsetzliche Folgen: Im westafrikanischen Sierra Leone stehen Zuckerrohrplantagen für die Produktion von Biosprit für den europäischen Markt. Weit und breit kein Reis mehr, kein Maniok – die Grundnahrungsmittel in Sierra Leone, einem der ärmsten Länder des Planeten. Großinvestoren machen Milliardengeschäfte durch Landraub, das Land wird knapper und Kapitalanleger wie Banken und Versicherungen (allen voran Allianz Versicherung und die Deutsche Bank) investieren in Termingeschäfte auf Getreide. Deshalb sind die Lebensmittel in Sierra Leone und anderen Ländern für immer mehr Menschen unerschwinglich. Als Folge von Termingeschäften an den Rohstoffbörsen kämpfen weltweit fast eine Milliarde Menschen gegen den Hungertod.

Die Hunger-, Dürre-, und Gesundheitskatastrophen in den Ländern des Südens sind keine Zufälle, es die sich mit Launen der Natur erklären lassen. Die Arbeitsbedingungen in den Diamantminen Simbabwes, den Textilfabriken Pakistans und den Zuckerrohr- und Sojaplantagen Brasiliens sind Ergebnisse politischer Entscheidungen, sie hat man politisch in Kauf genommen: in den Ländern des Südens wie in denen des Nordens, in Regierungen und Parlamenten ebenso wie in den Direktionen und Aufsichtsräten von Banken und weltweit operierenden Unternehmen.

„Es gibt nicht nur eine Gewalt auf der Straße, Gewalt in Bomben, Pistolen, Knüppeln und Steinen, es gibt auch Gewalt und Gewalten, die auf der Bank liegen und an der Börse hoch gehandelt werden.“ Das sagte Heinrich Böll vor 40 Jahren, zu Beginn der neoliberalen Globalisierung. Damals fing die Politik an, die Regulierung der Finanzmärkte zu lockern und die Märkte zu öffnen, um sich den Zugriff auf die weltweiten Ressourcen zu erleichtern.

Deshalb muss der Kampf für die Umverteilung von oben nach unten und für die sozialen, ökonomischen und politischen Rechte weltweit geführt werden – und wir sind aufgerufen, unseren Teil dazu beizutragen.

Veröffentlicht am 28. September 2012

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