Sri Lanka: Von einem Tsunami zum nächsten

Unterwegs zu einem Menschenrechtsprojekt. Ein Reisebericht von Thomas Seibert.

"Ich bin unendlich müde", sagt Nimalka Fernando von der Menschenrechtsorganisation IMADR, "aber wir werden jetzt wieder tun müssen, was wir schon in den Achtzigern und dann in den Neunzigern getan haben: die Gewalt aller Seiten dokumentieren, den Hintergrund ausleuchten, versuchen, Opfer und Zeugen zu schützen." Das erste Mal traf ich die streitbare Anwältin wenige Tage nach dem Tsunami, als ihre Organisation mit der Unterstützung medicos Nothilfe an der Küste leistete. Diesmal geht es um erste Pläne für ein Menschenrechtsprojekt, an dem sich gleich mehrere der medico-Partner auf der Insel beteiligen würden – wenn es denn zustande kommt. Es herrscht wieder Krieg auf Sri Lanka. Kurz nach dem Tsunami sah das noch anders aus. Trotz der ungeheuren Zerstörungen kam es nicht zur "humanitären Katastrophe", nicht zu Hunger, zu keinen Epidemien und auch nicht zu Plünderungen, im Gegenteil. Aus dem singhalesischen Süden trafen mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten beladene Hilfskonvois auch im tamilischen Nordosten ein, Rettungsmannschaften der Rebellen bargen und versorgten unterschiedslos singhalesische und tamilische Opfer. Ein halbes Jahr später war die Chance vertan. Der Oberste Gerichtshof suspendierte ein Abkommen, in dem sich Regierung und Rebellen auf eine angemessene Verteilung der internationalen Hilfsgelder geeinigt hatten. Als die LTTE daraufhin den Außenminister ermordete, eskalierte die Situation. Die Regierung sperrte die Straße nach Jaffna, belagerte das von den Rebellen verwaltete Vanni und bombardierte LTTE-Stützpunkte an der Ostküste. Präsident Rajapakse legitimiert das als Beitrag Sri Lankas zum weltweiten "Kampf gegen den Terror" und darf sich der Deckung aus Washington sicher sein. Im Juni 2006 gossen die Innenpolitiker der Europäischen Union Öl in die Flammen, als auch sie die LTTE zu weltweiter Verfolgung ausschrieben. Wenn Nimalka Fernando wie die meisten srilankischen Menschenrechts- und FriedensaktivistInnen den EU-Beschluss entschieden kritisiert, dann nicht in Parteinahme für die Rebellen, sondern weil sie weiß, dass der Konflikt weder mit der Rhetorik des "Anti-Terror-Kriegs" noch mit seiner Reduktion auf die "tamilische Frage" gelöst werden kann.

Die Leute von Saltion 1

Um weitere Partner des geplanten Menschenrechtsprojekts zu treffen, reise ich mit Nimalkas Kollegen Kishor in den Nordwesten. Unsere erste Station heißt Puttalam, genauer: Saltion 1. Hier leben Tamilen, die moslemischen, nicht hinduistischen Glaubens sind: eine Minderheit der Minderheit. Vor sechzehn Jahren wurden sie von der LTTE aus dem weiter nördlich gelegenen Mannar vertrieben, seither trennt der Konflikt nicht mehr nur Tamilen und Singhalesen, sondern auch Hindus und Moslems. Saltion1 ist ein Haufen palmblattgedeckter Hütten aus Holz und Wellblech, von schlammigen Wegen durchzogen. Chikungunya- und Denguefieber sind ebenso weit verbreitet wie Diarrhöe und Cholera, fünf Familien teilen sich ein zwischen den Hütten liegendes Plumpsklo, die Sickergruben sind verstopft, Wasser gibt es nur zweimal am Tag. Ein Fünftel der rund hundert Moslemcamps rund um Puttalam sind in solcher Verfassung. Das Lager heißt so, weil nebenan Meersalz gewonnen wird, eine Arbeit, die auch Männern aus dem Lager ein Einkommen gewährt. Der Tagesverdienst liegt bei 150 Rupien, wenig mehr als ein Euro. Finden sie zeitweilig Anstellung in einem der Hotels von Puttalam, verdienen Frauen und Kinder etwas Geld hinzu. Leicht ist das nicht, weil die alteingesessenen, ebenfalls moslemischen Einwohner der Stadt selbst arm und auf diese Jobs angewiesen sind. Das Menschenrechtsprojekt will Geschichten wie diese dokumentieren, um zu zeigen, worum es in den Konflikten auf der Insel wirklich geht.

Die Leute von Thallikulam

Die Hütten dieses Lagers nah bei Vavuniya liegen inmitten von gepflegten Gärten, in denen sich Hühner, Ziegen und sogar ein paar Kühe finden. Obwohl alle Bewohner tamilischer Herkunft und ihre Lebensgeschichten sämtlich durch Flucht und Vertreibung bestimmt sind, rechnen sie sich zwei getrennten Gruppen zu, entstammen entweder einer "host-" oder einer "guestfamily". Erstere leben schon länger am Ort, letztere wurden mit Hilfe des medico-Partners SEED erst kürzlich hier angesiedelt, normalerweise eine äußerst konfliktträchtige, aber eben nicht notwendig ethnisch definierte Situation. In Thallikulam konnte Streit vermieden werden, weil SEED die hostfamilies von Anfang an in den Ansiedlungsprozess einbezog. Bekamen die Neuankömmlinge gemauerte Toiletten, wurden solche auch den Alteingesessenen angeboten. Gastgeber und Gäste organisieren ihren schwierigen Alltag seither in arbeitsteilig kooperierenden Komitees. Die Frauen des Lagers haben ihre eigene Organisation, die Women's Rural Development Society. Denn zu den dringlichsten Problemen in Thallikulam gehören Vergewaltigungen, nahezu Nacht für Nacht verübt von Männern aus dem Lager und von paramilitärischen Banden, die durch die Gärten ziehen. Freimütig schildert uns eine Frauengruppe der hostfamilies ihre Erfahrungen, später diskutieren wir im SEED-Büro weiter. Lange schon fordern die srilankischen Frauenorganisationen, in eigener Sache an den Friedensverhandlungen beteiligt zu werden: Dass der Krieg zwar alle Menschen auf der Insel, die Frauen aber anders als die Männer trifft, soll deshalb auch ein Schwerpunkt der Aufklärungsarbeit des Menschenrechtsprojekts werden.

Die Leute von Pottuvil

Zurück in Colombo treffen wir Sharika, eine junge singhalesische Anwältin. Sie kommt aus Pottuvil an der Südostküste, einer Gegend, in der Singhalesen, Tamilen und Moslems leben. Im September wurden hier zehn moslemische Jugendliche mit Hacken ermordet. Regierungsstellen beschuldigten die LTTE, ein Vorwurf, der von der tamilischen wie der moslemischen Gemeinde empört zurückgewiesen wurde. Die Leute machen eine Eliteeinheit der Armee für die Tat verantwortlich, verlangen deren Verlegung und die Aufklärung des Massakers. Sharika erzählt uns von den Hintergründen, die wie überall auf Sri Lanka mit der Landfrage zu tun haben. Besiedelbares Land ist knapp und wechselt seine Eigentümer am einfachsten durch Flucht und Vertreibung. In Pottuvil geht es vordringlich um Fischfanggründe und den Zugang zur See. Weil Sharika, Kishor und Nimalka ebenso wie die Leute von Pottuvil wissen, dass es hier keine "ethnische Lösung" gibt, wollen sie auch diesen "Fall" zum Thema des Menschenrechtsprojekts machen. "Uns geht es darum, die Leute selbst zu Wort kommen zu lassen", sagt Kishor, "das ist eine lebensgefährliche Sache, aber ohne das wird es auf Sri Lanka keinen Frieden geben."

Projektstichwort

In den umkämpften Regionen Sri Lankas sind die Partner von medico

dringend auf Unterstützung angewiesen. Bereits mehrfach war medizinische

Notversorgung für Bürgerkriegsflüchtlinge notwendig. Das gilt ebenfalls für

die Menschenrechtsarbeit und die Projekte, die in Folge des Tsunami

entstanden sind und von den aktuellen Auseinandersetzungen ebenfalls

betroffen sind. Das Spendenstichwort lautet: Sri Lanka.

 

 

Veröffentlicht am 07. März 2007

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