Sierra Leone: Neue "Blutdiamanten"

Unruhen in der Diamantenregion Kono.

Die Zeiten sind vorbei, als in den 1990er Jahren Rebellen der Revolutionary United Front (RUF) die Diamantenfelder in der Provinz Kono rund um die Provinzhauptstadt Koidu besetzten, um mit den edlen Steinen Waffen zu kaufen und den Kampf gegen die Regierung und die Bevölkerung aufzunehmen - der Film „Blood Diamond“ hat diesen vielleicht brutalsten aller Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg massenwirksam zum Thema gemacht. Seit sechs Jahren herrscht Frieden in Sierra Leone. Doch die Geschichte der „Blutdiamanten“ ist nicht vorbei – im Gegenteil: Sie bekommt sogar ein neues Kapitel.

Seit mehr als 70 Jahren werden in Kono Diamanten geschürft. Das Schicksal der so genannten „artisanal miners“, die sich mangels anderer Beschäftigungsmöglichkeiten für einen Hungerlohn in den alluvialen (oberirdischen) Minen verdingen, ist bekannt: Eine Schale Reis pro Tag, 2.000 Leones auf die Hand (weniger als 1 US-Dollar), eine geringe Provision auf gefundene Diamanten (wobei die meist libanesischen Händler den Preis festsetzen und der Schürfer oft den Wert des Diamanten nicht kennt). Die Situation der meist jungen „Arbeitssklaven” in den informellen Minen in Kono gilt Experten als eine Zeitbombe. Ausbeutung und Perspektivlosigkeit gehen Hand in Hand.

Doch offenbar sind weniger die kleinen Händler als die großen Konzerne verantwortlich dafür, dass die tragische Geschichte der „Konfliktdiamanten“ in Sierra Leone weitergeht. Im Jahr 2008 wird besonders deutlich, dass Gewinnmaximierung keineswegs mit Verantwortung für die regionale Entwicklung einhergeht. Schlimmer noch: Bei der Diamantenförderung im großen Stil werden nachhaltige Schäden für die Bevölkerung und die Umwelt billigend in Kauf genommen. Beispiel: Koidu Holdings Ltd., die größte private Diamantenfirma in Sierra Leone - die einzige, die „kimberlite mining“ betreibt, also die Förderung unterirdischer Diamanten durch Sprengungen.

„Mitten im Konzessionsgebiet leben Menschen, seit mehr als 60 Jahren“, erklärt Patrick Tongu, District Manager des medico-Partners Network Movement for Justice and Development (NMJD) in Kono. „Wegen der fast täglich stattfindenden Sprengungen müssten eigentlich fast 390 Haushalte umgesiedelt und für sie neue Häuser gebaut werden. Doch seit fünf Jahren hat Koidu Holdings nur 70 Häuser gebaut, die meisten davon sind nicht fertig, und es gibt dort auch bis heute keinen funktionierenden Trinkwasserbrunnen.“ Außerdem würden durch die mehrmals wöchentlich stattfindenden Sprengungen immer wieder Häuser und Kleingärten zerstört, so Patrick Tongu. Riesige umherfliegende Gesteinsbrocken gefährdeten die Lebensgrundlage der Farmer. Anwohner würden zu spät oder gar nicht über bevorstehende Sprengungen informiert.

Dass die Spannungen um den privatisierten teuren Rohstoff eine neue, blutige Dimension bekommen haben, zeigen die Ereignisse des 13. Dezember 2007: Als eine Gruppe von Anwohnern der Mine am Haupttor von Koidu Holdings friedlich gegen die Sprengungen und deren Folgen protestierte, ging die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor und schoss nach Zeugenaussagen kurz darauf ohne Vorwarnung scharf – nach offiziellen Angaben wurden zwei Anwohner getötet, ein kanadischer AP-Journalist, der vor Ort war, spricht von drei Toten. Die genaue Zahl der Verletzten ist unbekannt, sie wird auf 100 geschätzt.

Was war geschehen? Mitglieder der „Affected Property Owners Association” im Tankoro Chiefdom hatten sich den Umsiedlungsplänen von Koidu Holdings verweigert und dem Konzern eine Frist von 21 Tagen gesetzt, um eine bessere Lösung für die betroffenen Anwohner zu finden. Nachdem auch am 20. Tag (dem 13. Dezember) keine Reaktion von Koidu Holdings kam, sondern nur eine erneute Sprengung gemeldet wurde, begann ein friedlicher Sitzstreik mit den genannten verheerenden Folgen.

Staatliche Polizisten als Privatarmee

Besonders bedenklich findet Patrick Tongu vom NMJD die Tatsache, dass bei der Schießerei Polizisten der staatlichen Polizei im Dienst von Koidu Holdings standen und auch vom Konzern bezahlt wurden (mit 400.000 Leones pro Person, das entspricht etwa dem vier- bis fünffachen Lohn eines durchschnittlichen Polizeibeamten):

„Die vornehmliche Aufgabe der Polizei sollte es doch sein, das Leben der Bevölkerung zu schützen“, so Patrick Tongu. „Außerdem haben wir herausgefunden, dass auf diesem Wege Waffen in die Hände der privaten Sicherheitsdienste gelangen. Der Staat rüstet also die Sicherheitskräfte von Koidu Holdings aus, gegen die Bevölkerung!“

Der ganze Vorgang hat nach Ansicht des Network Movement for Justice and Development Konsequenzen für die Definition von Diamanten aus Sierra Leone als bloße Konfliktdiamanten: „Dies ist ein sehr schwer wiegender Konflikt“, so Tongu weiter, „er betrifft mehr als 5.000 Menschen direkt, und er unterscheidet sich vom Streit um andere Konzessionen dadurch, dass der Lebensraum der Menschen zerstört wird, dass Menschen dabei getötet werden, und dass der Profit im wahrsten Sinne über Leichen geht. Ich würde die hier geförderten Diamanten daher nicht so harmlos als Konfliktdiamanten bezeichnen. Wir müssen hier ganz klar von Blutdiamanten sprechen.“

Blutdiamanten neuen Typs

Hier schließt sich der Kreis der Geschichte. Schließlich ist Koidu Holdings eine altbekannte Firma mit Wurzeln im sierra-leonischen Bürgerkrieg von 1991 bis 2002. Denn die riesige Konzession von Koidu Holdings zwischen der Provinzhauptstadt Koidu und den Tongo Fields ist im Grunde die, die eine Firma namens Branch Energy 1996 erhalten hatte, nachdem südafrikanische Söldner der „Militärberater“ von Executive Outcomes die RUF-Rebellen aus den Diamantenfeldern vertrieben hatten.

Koidu Holdings gibt sich den Anstrich einer sozial engagierten Firma. Dort, am Haupttor der zentralen Mine, wo es noch im Dezember Tote und Verletzte gegeben hatte, steht heute ein großes Firmenschild mit dem Slogan: „Investment, Development and Growth in Sierra Leone’s Mineral Resources for a Better Future”. Das sei zynisch, meint Patrick Tongu. Koidu Holdings bringe weder Entwicklung noch Wachstum, sondern nur Zerstörung.

Projektstichwort

Das sierra-leonische Netzwerk für Gerechtigkeit und Entwicklung hat bereits während des Bürgerkrieges in den umkämpften Regionen Sierra Leones, darunter auch in dem beschriebenen Kono-Distrikt, begonnen, unabhängige zivilgesellschaftliche Bewegungen für den Frieden zu initiieren. NMJD war eine der ersten unabhängigen Organisationen in Afrika, die sich mit den Folgen des Handels mit Diamanten und mit anderen Rohstoffen für die Konflikte im eigenen Land auseinander setzten. Seit dem Jahr 2000 betreibt das Netzwerk Aktionen unter dem Titel „Für gerechte Minenprogramme“, mit denen es sich dafür einsetzt, dass die Erlöse aus den Rohstoffen der regionalen Bevölkerung zugute kommen. Das Spenden-Stichwort für dieses Netzwerk lautet: Sierra Leone

 

Veröffentlicht am 02. April 2008

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