Sie bleiben – es ist ihr Land

Die afghanischen medico-Partner arbeiten für die Demilitarisierung des Landes. Dabei riskieren die Entminer viel – auch ihr Leben.

"Krieg ist kein Mittel gegen Terror" – im November 2001 wandten sich auf Initiative medicos international renommierte Intellektuelle gegen den Krieg in Afghanistan. Damals hatten Nobelpreisträger wie José Saramago, Günter Grass, Orhan Pamuk, Rigoberta Menchú, Harold Pinter neben einem sofortigen Ende der Bombardements vom Bundestag gefordert, sich nicht an diesem Krieg zu beteiligen.

Heute, sechs Jahre später, ist aus dem offenen Krieg ein nach strategischen westlichen Interessen ausgerichteter Militäreinsatz auf Dauer geworden. Die vorgeblichen Ziele von Demokratie bis Frauenbefreiung, die als eine Art Spin-off-Effekt verkauft wurden, sind nur noch Legitimation. Die Menschen in Afghanistan zahlen für die Sicherung der Geostrategie des Westens keinen niedrigen Preis. Er besteht in Hunderten wenn nicht Tausenden von Toten im "Krieg gegen den Terror", in fehlender ökonomischer Entwicklung, in Hunger und Armut. Aber auch in einer wiederholten Erfahrung betrogener Hoffnung.

15 Minenräumer ermordet

Das erleben auch die Partner von medico international. Die afghanischen Organisationen zur Minenaufklärung und -räumung, mit denen medico seit vielen Jahren in der Kampagne zur Ächtung der Landminen und in konkreten Projekten zusammenarbeitet, haben seit dem von den USA geführten Kriegseinsatz 2001 erhebliche Veränderungen und Gefährdungen in ihrer Arbeit erfahren. In den vergangenen sechs Jahren sind 15 Minenräumer bei Anschlägen und Entführungen ums Leben gekommen. Zuletzt vor wenigen Wochen drei Minenräumer unseres Partners Mine Detection and Dog Center (MDC). Dies ist auch ein direktes Ergebnis der äußeren Intervention. Sie betreibt eine gezielte Vermischung von ziviler Hilfe und militärischen Einsätzen und so geraten afghanische Nichtregierungsorganisationen ins Visier der Auseinandersetzung. Zugleich bedroht ein neoliberaler Privatisierungskurs die Arbeitsund Einkommensmöglichkeiten der Minenräumer. Reduziert auf ein technisches Problem gilt Minenräumung als vergleichsweise lukratives Geschäft. Da stören die zivilgesellschaftlichen Ansätze von afghanischen Organisationen nur.

Dabei symbolisieren die Demilitarisierungsbemühungen der medico-Partner, dass eine friedliche, von Afghanen gesteuerte Entwicklung möglich wäre. Ihre Arbeit bewegt sich eng im afghanischen Kontext. Ihre weit über tausend Mitarbeiter, die überall im Land tätig sind, teilen das Schicksal ihrer Landsleute. Während der Taliban-Herrschaft haben sie jeden Spielraum genutzt, um der lokalen Bevölkerung medizinische Betreuung zur Verfügung zu stellen oder Mädchen Schulunterricht zu ermöglichen. Als aktive Mitglieder der afghanischen Kampagne gegen Landminen streiten sie für die Rechte der Minen- und Kriegsopfer.

Jeder kennt OMAR

In den vergangenen Jahren ermöglichten unsere Spenderinnen und Spender kluge und vorausschauende "Grassroot"-Projekte, denn die Arbeit und das Selbstverständnis unserer afghanischen Partner gehen über ein reines technisches Verständnis des Minenräumens weit hinaus. So unterstützt medico die Arbeit von zwei Frauenteams bei der traditionsreichen Organisation OMAR (Organisation for Mine Clearance and Afghan Rehabilitation), die Bewohner und Rückkehrer aufklären, wie sie sich gegen die Minengefahr schützen können. Der Unterricht besteht darin, die Menschen über Aussehen und Explosionsarten der Minen und nichtexplodierten Kriegsrückstände zu informieren und mit ihnen Verhaltensmaßregeln zu trainieren, falls eine Mine explodiert ist. Da geht es um die Frage "Wie hole ich Hilfe?" oder um die Vermittlung von Erste-Hilfe-Maßnahmen. Die Frauenteams sind besonders deshalb wichtig, weil sie Frauen und Kinder schulen können. Sie halten keinen langweiligen Frontalunterricht, sondern erreichen mittels Gruppenarbeit und kleinen Rollenspielen, dass die Frauen und Kinder die Verhaltensmaßregeln wirklich verinnerlichen. Wer in Afghanistan OMAR erwähnt, bekommt von vielen Menschen eine positive Antwort. Jeder hat auf die eine oder andere Weise schon Kontakt mit OMAR gehabt. Unter den aktuellen Bedingungen anhaltender Unsicherheit ist die Aufklärungstätigkeit von OMAR eine konkrete Hilfe, die nicht nur die Bewegungsfreiheit der Menschen stärkt, sondern auch Mut macht weiterhin dort zu bleiben. Unter den gegebenen Voraussetzungen bedeutet dies mehr, als man sich in überschaubaren Lebensverhältnissen vorzustellen vermag.

Das Schweigen überwinden

Auch die Arbeit der Poliklinik vom Mine Detection and Dog Center (MDC) ist direkt mit den Folgen der Gewalt konfrontiert. In der Betreuung weiblicher Minenopfer und behinderter Frauen beispielsweise, die diese Poliklinik besuchen. Mit Unterstützung von medico wird die Arbeit einer Physiotherapeutin und einer Psychotherapeutin finanziert, die insbesondere diese Frauen unterstützen. In Afghanistan ist es bislang nicht üblich über die Folgen des Krieges für die Seele zu sprechen. Dieses schweigende Nachvorneschauen ist sicher nicht untypisch für Nachkriegsgesellschaften. Tatsächlich zeigen aber die Erfahrungen der Poliklinik, die seit vielen Jahren die lokale Bevölkerung und insbesondere die Frauen medizinisch betreut, wie nötig eine Auseinandersetzung mit den Kriegsfolgen auch zur Stützung individueller Heilungsprozesse ist.

 

Projektstichwort

Setzen Sie ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Afghanistan. Unterstützen Sie die Arbeit unserer Partner. Direkt und konkret, ohne Panzer und Tornados demilitarisieren sie das Land von innen und helfen den Menschen bei der Bewältigung der Kriegshinterlassenschaften im physischen wie im psychischen Sinne. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeiten unsere afghanischen Partner für ein anderes Afghanistan. Was auch immer am Hindukusch geschieht – sie bleiben. Es ist ihr Land. Spendenstichwort: Afghanistan.

 

 

Veröffentlicht am 19. September 2007

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