Fit für die Katastrophe

Resilienz statt Nachhaltiger Entwicklung

Das Konzept der „Nachhaltigen Entwicklung“ hatte immerhin noch den Anspruch, die Welt aktiv politisch zu gestalten. Der Begriff der Resilienz nicht.

Von Thomas Gebauer

Das multiple Krisengeschehen, das heute die Lebensumstände großer Teile der Weltbevölkerung in Mitleidenschaft zieht, ist bekanntlich nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Der Klimawandel, die um sich greifende Ernährungs­unsicherheit, die Ausbreitung städtischer Slums, die Zunahme der Gefahr von Epidemien, der Verlust der sozialen Kohäsion, die grassierenden seelischen Erschütterungen – all das ist Resultat von Politiken, die kaum noch den Bedürfnissen und Rechtsansprüchen der Menschen folgen, dafür umso mehr den Vorgaben der politischen und ökonomischen Macht. Immer weiter schreitet die profitable Inwertsetzung von Menschen und Natur voran. Längst ist von einem „Wachstum bis zum Untergang“ die Rede, und insgeheim haben ja alle eine Ahnung davon.

Dass der katastrophalen Tendenz, die in der Welt herrscht, so wenig widersprochen wird, hat gewiss viele Gründe. Einer liegt darin, dass es den Regierenden auf bemerkenswerte Weise gelungen ist, all die Risiken und Gefahren, die heute in der Welt laufen, mit der Aura einer ökonomischen Zwangsläufigkeit zu umgeben. Es sei „eine ganz, ganz unruhige Welt“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine Welt, in der es nur noch eine Chance gebe: „Auf Sicht fahren“.

Die Mischung aus Verblendung und faktischen Souveränitätsverlusten, die in einer solchen Programmatik zum Ausdruck kommt, hat in den zurückliegenden Jahren eine ganze Reihe von fatalen Strategien befördert. Zu ihnen gehört nicht zuletzt die Förderung von „Resilienz“, einem Konzept, das heute allenthalben von sich reden macht.

Resilienz – ein neues Allheilmittel?

Ursprünglich stammt der Begriff Resilienz aus der Physik, genauer aus der Stoffkunde. Er beschreibt die Fähigkeit eines Werkstoffs, auf Störungen, die von außen auf ihn einwirken, unbeschadet reagieren zu können. Das lateinische „Resilire“ meint übersetzt in etwa: abprallen, zurückfedern. Wer heute das Suchwort Resilienz im Internet aufruft, stößt auf über 500.000 Einträge: Resilienz in der Erziehungsberatung und Traumabehandlung, Resilienz in den einschlägigen Ratgeberspalten der Yellow Press, Resilienz aber auch in der Frage des Aufbaus von Gesundheitsdiensten in Westafrika, in den Trainingskursen für Führungskräfte, beim Schutz gegen Burnout, vor dem Klimawandel und kriegerischer Gewalt. Resilienz wird verwendet in der Katastrophenvorsorge, der Ökonomie, ja selbst der Sicherheitspolitik. Mit der Idee der Resilienz scheint sich eine fast schon magische Qualität zu verbinden, die aus kaum noch einem Praxisfeld wegzudenken ist. Vielen gilt Resilienz als d i e  Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit, als eine Art Allheilmittel gegen all die Bedrohungen, denen Menschen und die von ihnen geschaffenen Systeme heute ausgesetzt sind.

Angesichts von Zukunftserwartungen, die von Chaos- und Bedrohungs­szenarien geprägt sind, ist es durchaus vernünftig, Vorkehrungen zu treffen, um Störungen von außen überstehen zu können. Selbstverständlich spricht nichts dagegen, die Widerstandskraft von Menschen zu stärken. Und natürlich ist es notwendig, Menschen in ihrem Bemühen zur Seite zu stehen, sich vor Katastrophen zu schützen. Absurd aber wird es, wenn das Bemühen um Resilienz zur Rechtfertigung dafür herhalten muss, nichts mehr gegen die Ursachen von Krisen tun zu müssen. Genau das aber ist zunehmend der Fall. Einer Politik, die „auf Sicht fährt“ und gar nicht mehr den Anspruch erhebt, Alternativen zur herrschenden Krisendynamik zu denken, kommt das Resilienz-Konzept sehr zu pass.

Der Trendforscher Matthias Horx, einer der Stichworte gebenden Apologeten der neoliberalen Umgestaltung der Verhältnisse, hat das ganz offen bekannt: „Resilienz wird in den nächsten Jahren den schönen Begriff der Nachhaltigkeit ablösen. Hinter der Nachhaltigkeit steckt eine alte Harmonie-Illusion“, so Horx, „doch lebendige, evolutionäre Systeme bewegen sich immer an den Grenzlinien des Chaos.“  Weshalb künftig nicht mehr eine stetige, nachhaltige Entwicklung im Mittelpunkt stehe, sondern der Umgang mit Krisen.

Von der Krisenvermeidung zum Krisenmanagement, von einer auf Veränderung drängenden Politik zum „Fahren auf Sicht“?  Was Horx als „Harmonie-Illusion“ verunglimpft, ist die normative Dimension, die in der Idee der Nachhaltigkeit steckt. Wie auch immer der Begriff Nachhaltigkeit verwendet wird (und es hat sich auch an ihm sehr viel berechtigte Kritik entzündet), er impliziert Wertvorstellungen, an denen sich politische, ökonomische und technologische Entscheidungen auszurichten haben. Insbesondere in der Idee einer nachhaltigen Entwicklung geht es um Vorstellungen, wie durch aktive Gestaltung der Verhältnisse menschenwürdige Lebensumstände geschaffen und Gefahren minimiert werden können.

Ein solches normatives Konzept fehlt der Idee der Resilienz: Ihr geht es nicht mehr um gesellschaftliche Ideale, sondern nur um die Frage, wie sich Menschen und Systeme gegen Störungen, sprich: gegen eine aus den Fugen geratenen Welt schützen können. Ihre Klammer ist nicht mehr das Bemühen um eine Korrektur zerstörerischer Verhältnisse, sondern die Anpassung an den voranschreitenden Zerstörungsprozess. War die Moderne noch von der Idee beseelt, die Risiken, denen Menschen ausgesetzt sind, reduzieren und so eine bessere Zukunft aufbauen zu können, geht es heute eigentlich nur noch um Sicherung des Status Quo und der mit ihm verbundenen sozialen Ungleichheit. Der utopische Überschwang, der noch die Gründung der UN begleitet hat, ist einem pragmatischen Realismus gewichen, der nichts mehr verändern will und es am Ende den Leuten überlässt, mit den Umständen zurechtzukommen.

„… where things go wrong“

Es ist ein Geflecht von Interessen, das sich mit der Propagierung von Resilienz verbindet. Mit Resilienz lassen sich Geschäfte machen, politische Legitimationsdefizite überwinden und so bestehende Unrechtsverhältnisse stabilisieren.

Ein ganzer Berufszweig von BeraterInnen scheint sich inzwischen darauf kapriziert zu haben, wie auf all die Verlustängste, die aus der neoliberalen Aufkündigung von Gesellschaftlichkeit resultieren, marktförmig reagiert werden kann. Die Titel  einschlägiger Ratgeber sprechen für sich: „Resilienz: Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out“; „Resilienz – die Kunst wieder aufzustehen“. Für 25 Euro kann man seine persönliche Resilienz im Online-Schnelldurchgang testen lassen, für 1.220 Euro  das Seminar eines Instituts für Managemententwicklung besuchen, um dem Geheimnis der so genannten “Stehauf-Menschen” auf die Spur zu kommen, die selbst aus schwierigen Situationen und Niederlagen noch gestärkt hervorgehen.

Aber es sind nicht alleine kommerzielle Interessen, die in diesem Hype zum Ausdruck kommen; die Betonung von Resilienz hilft auch bei der Überwindung staatlicher Legitimationsdefizite. Denn wenn Resilienz als eine Eigenschaft betrachtet wird, über die im Prinzip alle Menschen und Systeme verfügen; eine Eigenschaft, die vielleicht nur ein wenig Training und technische Verbesserungen verlangt, dann können sich staatliche Institutionen auch mehr und mehr ihrer gesellschaftspolitischen Schutzverpflichtungen entziehen. Ein komplett neues Staatsverständnis kann sich unter solchen Umständen breit machen. Eines, das die Verantwortung für die Bewältigung von Armut, die Folgen des Klimawandels, der in der Welt grassierenden Gewalt an Subsysteme wie Familien, Kommunen, Nachbarschaften, TherapeutInnen, PädagogInnen, Hilfswerken, Unternehmen und schließlich an jeden und jede einzelne abwälzt. Und so entpuppt sich Resilienz – wie Charity – als Teil jener neoliberalen Hegemonie, zu deren Wesen es auch zählt, gesellschaftliche Verantwortung in die Sphäre des Privaten abzudrängen. Möglich ist dies letztlich nur auf der Grundlage einer Ideologie, die sich tief ins Bewusstsein der Menschen eingegraben hat, auch in die Überzeugungen jener, die darunter am meisten zu leiden haben: die Ideologie einer neoliberal gewendeten Idee von Eigenverantwortung: wenn jede und jeder an sich denkt, ist auch an alle gedacht.

Ende 2014 ist in den USA ein Buch erschienen, das den bemerkenswerten Titel „The Resilience Dividend - Being Strong in a World Where Things Go Wrong” trägt. Dessen Autorin, Judith Rodin, ist nicht irgendwer; sie ist Präsidentin der Rockefeller Stiftung, die Resilienz vor einigen Jahren schon zu einer Top-Priorität erklärt hat. Und so nimmt es nicht wunder, dass heute nahezu alle damit befasst sind, Vorkehrungen für kommende Krisen zu treffen. StadtplanerInnen bedenken mögliche Terroranschläge. TopmanagerInnen von Versicherungsgesellschaften, Banken und Fluglinien diskutieren auf eigens einberufenen Konferenzen über „Anreize für resilientes Investment“. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verlangt den Aufbau „resilienter Gesundheitssysteme“, weil sie davon ausgeht, dass sich die sozialen und politischen Umstände, die den Ausbruch von Epidemien begünstigen, ohnehin nicht werden verändern lassen, und die BewohnerInnen küstennaher Dörfer in Bangladesch werden von EntwicklungsexpertInnen dazu angehalten von der Hühner- auf die Entenzucht um, um so für die bevorstehenden Überflutungen gewappnet zu sein.

Den Klimawandel zu stoppen oder ihn wenigstens effektiv zu bremsen, steht hingegen nicht auf der entwicklungspolitischen Agenda. In einem Beitrag von EurActiv.de mit der Überschrift „EU verspricht mehr Unterstützung für Klima-Resilienz“, in dem die bangladeschische Idee mit den Enten gelobt wird, heißt es: „Die Idee, Krisenresilienz zu stärken, erfreut sich in Brüssel immer größerer Beliebtheit.“

Und weil Klimaresilienz eben nicht Klimagerechtigkeit meint, weshalb die Folgen des Klimawandels die einen stärker als die anderen treffen werden, bereiten sich Militärs schon mal auf kommenden Auseinandersetzungen vor. Unter Verweis auf Resilienz-Konzepte unterzieht die US-Armee derzeit sämtliche ihrer Einheiten einem „Comprehensive Soldier Fitness“-Programm. Im Zentrum des 125 Millionen Dollar teuren Trainings, das Psychologen um den Guru der Positiven Psychologie Martin Seligman entwickelt haben, steht die Vorbereitung auf traumatische Ereignisse. Die Soldaten sollen lernen, selbst extreme Erfahrungen als Herausforderung für persönliche Reifeprozesse anzusehen, als Erlebnisse, die ihnen Selbstbewusstsein und Stärke vermitteln. Das Ziel sei „eine unbezwingbare Armee“, so Seligman, die negative Gefühle nicht mehr kennt und an der alles, was die Kampfkraft stören könnte, abprallt.

Profitables Risikomanagement

Ganz offenbar ist Resilienz aus dem herrschenden Diskurs nicht mehr wegzudenken. WissenschaftlerInnen erhöhen ihre Chancen auf Drittmittelfinanzierung, wenn sie in die Anträge Hinweise darauf einfließen lassen. EntwicklungsexpertInnen, die im Hinblick auf die prekären Verhältnisse in der Welt nicht allzu viele Erfolge vorzuweisen haben, freuen sich, wieder mal mit einer neuen Strategie aufwarten zu können. Und einschlägige Unternehmen freuen sich bereits auf neue Geschäfte.

Dabei hilft ihnen eine vom Bundesentwicklungshilfeministerium (BMZ) ins Leben gerufene „Globale Initiative für Katastrophenrisikomanagement“. Auch in ihr geht es nicht mehr um „Disaster Risk Reduction“, wie es sich eine gleichnamige UN-Strategie noch auf die Fahnen geschrieben hatte, sondern nur noch um die bloße Verwaltung des Elends. Nicht die Durchsetzung von Alternativen zu den sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen von Näherinnen in den Weltmarktfabriken der internationalen Textilbranche hat sich die Initiative zum Ziel gesetzt, sondern um die Ausrüstung der Fabrikgebäude mit modernen Brandschutzmeldern.  Stolz vermeldete das BMZ anlässlich der internationalen Konferenz "New Partnerships for Disaster Risk Management" im Juni 2014: „Beispiel Bangladesch: Bereits ein Jahr nach dem verheerenden Fabrikunglück in Rana Plaza gibt es eine enge Kooperation deutscher Feuerwehren und lokaler Brandschutzbehörden, die von der "Globalen Initiative Katastrophenrisikomanagement" initiiert wurde.“ Die Entwicklungspolitik als bloße Feuerwehr – das trifft das Credo der Selbstbeschränkung ganz gut.  

Ein Engagement gegen die wachsende soziale Ungleichheit ist von gestern; heute geht es in Kooperation mit der internationalen Tourismusbranche um die Schaffung von resilienten Hotels für TouristInnen. Ganz offen führt  das deutsche Konzept aus, die Märkte im Globalen Süden für Technologien „made in and with Germany“ öffnen zu wollen. Die Idee einer „Resilience Dividend“ bekommt so einen tieferen Sinn.

Das behauptete Ziel, in einer Welt, wo die Dinge daneben gehen („where things go wrong“, um es mit der Rockefeller-Managerin Rodin zu sagen), Stärke zu schaffen, muss aber scheitern. Zumindest für die meisten, und schon gar für all diejenigen, die am untersten Ende der Pyramide zu leben gezwungen sind. Gutverdienenden ManagerInnen mag es vielleicht noch gelingen, private Schutzschilder gegen beruflichen Stress und andere Misslichkeiten aufzubauen, nicht aber den sozial Ausgeschlossenen, denen jedwede Anerkennung verweigert und deren Lebensumstände systematisch zerstört werden. Die Widerstandskraft von Millionen von Hungernden im Sahel ließe sich nur über die Förderung einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft stärken. Genau die aber verschwindet, weil sie dem internationalen Agrobusiness im Wege steht.

Neoliberal zugerichtete Subjektivität

Und so entpuppt sich Resilienz als eine Art Knotenpunkt von deregulierter Ökonomie, neoliberal zugerichteter Subjektivität und einer Staatlichkeit, die nur noch den Status Quo sichern will, und sei er noch so ungerecht.

Weil solche Verhältnisse zwangsläufig Krisen produzieren, bedarf es Resilienz als einer Art nachgelagerten Sicherheit. In Israel etwa lernen Schulkinder, von Gewalt nicht mehr überrascht zu werden. Unter dem Eindruck simulierter Terroranschläge üben sie, wie Angst durch Atemübungen und positive Gedanken bekämpft werden kann. Fragen, wie die Konfliktlage im Nahen Osten politisch zu lösen wäre, sind nicht Teil des Lehrplans. Letztlich offenbaren solche Strategien das furchtbare Eingeständnis, dass Unsicherheit künftig keine Ausnahme mehr sein wird, sondern die Regel.

Resilienz, so der britische Sozialwissenschaftler Mark Neocleous, sei vergleichbar mit einem „besorgten Blick in die Zukunft“. So zweckrational das Antizipieren von kommenden Katastrophen zu sein scheint, bleibt dies dennoch nicht ohne Konsequenz für das Bewusstsein der Menschen. Denn wenn alle davon ausgehen, dass die Katastrophe unvermeidbar ist, führt dies zur Kolonisierung der letzten noch verbliebenen Sphären von Freiheit, so Neocleous, der menschlichen Vorstellungskraft, die nun ihrerseits in den Dienst eines business as usual gestellt wird. Wen sich alle „fit für die Katastrophe“ machen, kann sich der herrschende Zerstörungsprozess selbst noch in Zeiten größter Gefahr und Not fortsetzen.

Und eben darin steckt das Paradox heutiger Resilienz-Konzepte: Sie stabilisieren genau jene Verhältnisse, an deren prekären Zustand sich das Bedürfnis nach Widerstand entzündet. Solange dem Krisengeschehen nicht politisch Einhalt geboten wird, werden selbst wohlmeinende Resilienzprojekte keine Chance haben.

Veröffentlicht am 19. Mai 2016

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