Reichtum ohne Wohlstand

In Sierra Leone verhindert der Rohstoffabbau einen gerechten Frieden nach dem Bürgerkrieg

Das westafrikanische Land Sierra Leone verfügt über bedeutende mineralische und landwirtschaftliche Rohstoffe. Die Vorkommen an Diamanten, Gold, Bauxit, Rutil, aber auch das fruchtbare Land und die maritimen Ressourcen entlang der 400 Kilometer langen Atlantikküste könnten einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des Landes leisten. Tatsächlich aber leben über 70% der annähernd fünf Millionen Einwohner/innen Sierra Leones unter der Armutsgrenze. Anhand des lukrativen Diamantenhandels und der zunehmenden Veräußerung von Ackerland an internationale agroindustrielle Konzerne, das sog. Land Grabbing, lässt sich zeigen, in welcher Weise der Ressourcenreichtum Sierra Leones zu Flucht, Vertreibung und Migration beiträgt und welche Handlungsperspektiven sich für die Menschen in den betroffenen Ländern ergeben.

Diamanten: Symbol für Hoffnung und Bürgerkrieg

Die Ausbeutung der Bodenschätze in Sierra Leone begann in den 1930er Jahren und stellt bis heute die größte Einkommensquelle des Landes dar. Insbesondere in den 1950er Jahren kam es zu einer Jagd auf die Edelsteine, die mit einer massiven Einwanderung in die östlichen Diamantengebiete einherging. Ende der 1960er Jahre erreichte die Förderung mit jährlich rund zwei Millionen Karat (das entspricht einem Wert von 400 Millionen US-Dollar) ihren Höhepunkt. In den Jahrzehnten, die folgten, nahm die Förderung wieder ab – bis zum Beginn des Krieges. Von 1991 bis 2002 wurde in Sierra Leone ein grausamer Bürgerkrieg ausgetragen. Sowohl die Rebellenbewegung Revolutionary United Front (RUF) wie auch die Regierung finanzierten ihre Waffen und Truppen durch den Handel mit Diamanten. Die Edelsteine sind die konzentrierteste Form von Reichtum; sie sind leicht zu schmuggeln, überall zu verkaufen und bildeten so den Motor dieses Krieges. Während der Kämpfe kamen mindestens 20.000 Menschen zu Tode, Tausende wurden grausam verstümmelt und etwa die Hälfte der Bevölkerung (2,6 Millionen Menschen) wurde Opfer interner Vertreibungen.

Internationale Diamantenkonzerne machten lukrative Geschäfte in Sierra Leone und stabilisierten so die Kriegsökonomie. Alle Kriegsparteien waren für ihren Waffennachschub auf Geldmittel angewiesen. Die internationalen Abnehmer/ innen sicherten diese Finanzierung, indem sie den Kriegsparteien den Zugang zu globalen Märkten öffneten. Im Gegenzug profitierten die internationalen Konzerne von den günstigen Preisen für die begehrten Rohdiamanten, die in diesem Zusammenhang auch „Konfliktdiamanten“ genannt werden.

Proteste gegen den Handel mit Konfliktdiamanten

Die brutalen Bürgerkriege in Sierra Leone, in der Demokratischen Republik Kongo und in Angola führten dazu, dass der Handel mit Konfliktdiamanten international angeprangert wurde. Ende der 1990er Jahre lancierte medico gemeinsam mit weiteren Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen die Kampagne Fatal Transactions, die das Ende des Handels sowie eine faire Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums forderte. Die Industrie zeigte sich empört über die Kritik; viele Menschen im Westen waren indes schockiert über die Gewalt in den diamantenreichen Ländern Afrikas und setzten sich für das Ende des Handels mit Konfliktdiamanten ein. Der Protest gegen die Diamantenindustrie, die seit den 1990er Jahren die afrikanische Kriegsökonomie florieren ließ, führte im Jahr 2000 zum Kimberley-Prozess. Ziel war es, den Handel mit Konfliktdiamanten durch die Einführung eines Zertifikates zu beenden. Dieses Ziel wurde erreicht. Mit dem Kimberley Prozess Zertifizierungssystem (KPCS) werden jedoch nur Diamanten aus Bürgerkriegszonen erfasst, nicht jedoch die Edelsteine, die unter menschenrechtswidrigen Bedingungen abgebaut werden.

Von Konfliktdiamanten zu Diamantenkonflikten

Auch nach dem Ende des Krieges bleibt der Diamantenabbau ein intransparenter Wirtschaftssektor in Sierra Leone. Die Regierung ist in erster Linie an einem schnellen Geldfluss interessiert und vergibt Förderlizenzen ohne lange Verhandlungen und zu günstigen Konditionen an die Diamantenindustrie. Während andere Länder Ausfuhrsteuern in Höhe von bis zu 10% erheben, verlangt Sierra Leone lediglich 3%. Des Weiteren werden die Steine von den Diamantenfirmen bewusst unterbewertet, um die späteren Gewinne zu maximieren. Auch die Schürfkosten für Diamanten sind extrem niedrig, weil die Arbeiter/ innen sehr schlecht bezahlt werden (s.u.) und die Bergbaugesellschaften kaum in die Infrastruktur investieren.

• 2007 wurden sierra-leonische Diamanten im Wert von 141 Millionen US-Dollar exportiert, wovon der Großteil aus alluvialem Abbau stammte.

• 120.000 Personen sind direkt in den Abbau involviert, rechnet man die Familienangehörigen mit ein, dann überleben 500.000 Menschen von den Erlösen.

• 2005 standen die sieben wichtigsten Exporteur/innen mit einem jeweiligen Profit von 1,5 Millionen US-Dollar etwa 120.000 Schürfer/innen gegenüber, die auf lizenziertem Land einen jeweiligen Profit von ca. 125 USDollar erzielten.

Um nach Diamanten zu schürfen, werden große Landflächen von Unternehmen gekauft oder gepachtet. Selten handelt es sich hier um brachliegendes und unbewohntes Gelände: Häufig werden ganze Dörfer umgesiedelt, Menschen von ihrem Land gewaltsam vertrieben und mit geringen Kompensationszahlungen gefügig gemacht.

Arbeitsmigration und Vertreibungen

Der lange Bürgerkrieg in Sierra Leone führte zu einer politischen Instabilität, die das Land bis heute prägt und anhaltende Migrations- und Fluchtbewegungen verursachte. Während der Kampf um den Zugang zu den Diamantenvorkommen zur Finanzierung des Bürgerkrieges Tausende Menschen in die Flucht trieb, führte in der Zeit nach dem Krieg die Erschließung neuer Minen zur Vertreibung ganzer Dörfer, in deren Böden die kostbaren Edelsteine vermutet werden.

„Zwangsmigration ist eine Folge von den Schürfaktivitäten in Sierra Leone“, berichtet Patrick Tongu von Network Movement for Justice and Development (NMJD), einer Partnerorganisation von medico international in Sierra Leone. Ganze Dorfgemeinschaften werden von Bergbauunternehmen gewaltsam von dem Land, das bereits ihre Ahnen bewohnt und bewirtschaftet haben, vertrieben. Viele Menschen verlieren ihren Ackerboden und ihren Wohnraum – ein schmerzhafter Einschnitt für die Betroffenen auch in kultureller und psychologischer Hinsicht.

In Sierra Leone ist zudem eine rege Arbeitsmigration zu beobachten. Die Mehrheit der Bevölkerung ist im landwirtschaftlichen Sektor tätig. Aber immer weniger Menschen in den ländlichen Regionen können ihren Lebensunterhalt alleine durch die Arbeit auf dem Feld bestreiten. Die bittere Armut Sierra Leones zwingt einen Großteil der Bauern und Bäuerinnen, sich in den Diamantenminen zu verdingen: Viele Menschen versuchen, die kleinbäuerliche Wirtschaft durch die Arbeit in einer Diamantenmine zu ergänzen oder gänzlich als Schürfer/innen zu arbeiten. Bereits in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg führte die Abwanderung in die Diamantenabbaugebiete zu einer strukturellen Ernährungsunsicherheit im Land. Zum einen wurde landwirtschaftlich nutzbare Fläche durch den großflächigen Abbau der Edelsteine verwüstet und unbrauchbar gemacht. Zum anderen verloren viele Familien wichtige Arbeitskräfte in der Subsistenzlandwirtschaft durch Abwanderung. Die Folge: Die Nahrungsmittelproduktion verringerte sich in den 1960er Jahren so stark, dass Reis importiert werden musste. Diese Entwicklung setzt sich bis heute fort.

Frauen und Mädchen sind in und um die Diamantenminen meist als Hilfskräfte tätig, die Verpflegung und Wasser für die Arbeiter/innen bereitstellen, oder aber sie verkaufen sich als Prostituierte. Viele Frauen bewirtschaften zudem weiter das Land, das sie bei zunehmender Abwanderung männlicher Familienmitglieder nahezu allein bestellen und verwalten müssen. Die Lebensbedingungen der in den Diamantenminen Beschäftigten sind in jeder Hinsicht menschenunwürdig. Kinderarbeit gehört zur Regel. In den Abbaugebieten der Region Kono im Osten Sierra Leones sind 47% aller Kinder und Jugendlichen gezwungen, in Minen zu arbeiten, um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Im Durchschnitt verdienen die meisten Beschäftigten weniger als einen USDollar pro Tag. Manche werden sogar nur mit einer Tagesverpflegung (Reis) bezahlt. Diamanten passieren mehrere Zwischenhandelsstufen, bis sie zu den Exporteur/innen gelangen. Von Stufe zu Stufe in der Kette werden immer höhere Profitmargen abgeschöpft, um schlussendlich auf den zahlungskräftigen Exportmärkten den höchsten Gewinn abzuwerfen.

Bergbaukonzerne fördern soziale Ungerechtigkeit

Seit einigen Jahren ist die Koidu Holdings Limited (KHL) in der diamantenreichen Region Kono im Osten Sierra Leones aktiv. Wer sich hier gegen Vertreibungen wehrte, wurde weder finanziell entschädigt, noch wurde ihm neues Land gewährt, sondern er oder sie wurde nicht selten unter Gewaltanwendung verjagt oder gleich inhaftiert. Bei einer Demonstration gegen die Missachtung ihrer Rechte durch Koidu Holdings schoss das Sicherheitspersonal in die Menge und tötete dabei zwei unbewaffnete Zivilist/innen. Weitere Personen wurden schwer verletzt. Das NMJD machte solange Druck, bis die Regierung eine Kommission zur Untersuchung der Vorfälle einsetze. Koidu Holdings versprach daraufhin die Wiederansiedelung der Vertriebenen künftig verantwortungsvoll zu gestalten. Allerdings bahnen sich neue Konflikte an, weil Uneinigkeit darüber herrscht, welchen Personen Ersatzwohnraum zusteht und welchen nicht. Die Kombination aus extremer Ausbeutung, Rechtsunsicherheit und mangelnder Versorgung der Opfer schafft so die Voraussetzungen für erneute Konflikte. Gemeinsam mit weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen und den UN hat NMJD daher ein Abkommen entworfen, das die internationalen Unternehmen verpflichten soll, für eine gerechtere Verteilung der Gewinne zu sorgen.

Schwachstelle Kimberley-Prozess

Zur Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Gruppen in Sierra Leone und anderen afrikanischen Ländern, die für die Teilhabe an dem Erlös aus dem Rohstoffhandel streiten, setzt sich medico für einen fairen Ressourcenhandel ein. Beispielhaft hierfür steht das Thema Konfliktdiamanten, das durch die von medico international initiierte internationale Kampagne Fatal Transactions ins öffentliche Bewusstsein gebracht wurde. In vielen Ländern begannen Menschen bei Juwelier/innen kritisch nachzufragen, woher die Diamanten stammen, unterstützten die Kampagne und übten als kritische Käufer/innen Druck aus. Die Kampagne setzte die Industrie so stark unter Druck, dass diese sich gezwungen sah, an dem Kimberley-Prozess (KP) zur Beendigung des Handels mit Konfliktdiamanten mitzuwirken. Die breite öffentliche Kritik am Handel mit Konfliktdiamanten und der Kimberley-Prozess bewirkten, dass die Geschäfte mit Diamanten von vormals zehn auf unter drei Prozent der gehandelten Steine sanken. Ein Erfolg.

Allerdings ist das Problem damit nicht aus der Welt geschafft, denn das KPCS hat fundamentale Schwächen:

• Die Definition von Konfliktdiamanten greift zu kurz, da sie auf Diamanten beschränkt ist, die von Rebellenbewegungen gehandelt werden.

• Die Produktionsbedingungen der Diamanten werden im KPCS nicht thematisiert. Diamanten, die zwar legal, aber mit schweren Menschenrechtsverletzungen abgebaut werden, werden nicht als Konfliktdiamanten angesehen.

• Das KPCS ist im engeren juristischen Sinne kein rechtlich verbindliches Abkommen, es beruht primär auf Selbstverpflichtung. Daher kann es seine Wirkungskraft nur mit der aktiven Unterstützung des jeweiligen Landes entfalten.

Unter dem Deckmantel des KPCS wird der Diamantenhandel aus Ländern mit repressiven Regierungen wie Simbabwe legalisiert, wo der Abbau mit schwersten Menschenrechtsverletzungen einhergeht und Tausende Menschen vertrieben wurden. Die Realität stellt das System als Ganzes in Frage. medico international setzt sich daher für die Erweiterung des KPCS und eine größere Rechtsverbindlichkeit ein. Dies zu erreichen wäre ein wichtiger Schritt für mehr Rohstoffgerechtigkeit.

Veröffentlicht am 04. April 2012

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