Odius Debt: Verhaßte Schulden

Ein Weltzustand

Der Beginn der 90er Jahre eröffnete für die Menschen des Südens ein Jahrzehnt der Hoffnungslosigkeit: Die Last der Beschneidungen in den öffentlichen Ausgaben betraf vor allem die Verwundbarsten der Welt – Millionen von Kindern. »Man kann annehmen, daß in den letzten zwölf Monaten mindestens eine halbe Million kleiner Kinder als Folge der Verlangsamung oder Umkehr der Entwicklung in der Dritten Welt gestorben sind«, erklärte UNICEF (1989) und machte unzweifelhaft die Verschuldung für dieses Ergebnis verantwortlich. Die Schulden wurden zum wirtschaftlichen Makel am Ende des 20. Jahrhunderts. Voraus gingen Jahrzehnte einer wahnsinnigen Geldaufnahme, deren Lasten am Ende der Party auf diejenigen verschwendet wurden, die keine Verschwendung betrieben hatten.

Die Doktrin der »verhaßten Schulden«

Trotz ihrer Armut könnten die meisten Länder des Südens ihre Schulden durchaus tilgen: sie müßten dazu ihre Vermögenswerte privatisieren, ihre Ressourcen zur Ausbeutung durch andere anbieten, Verzicht üben an gesellschaftlicher Ausbildung, am Gesundheitswesen oder sie müßten einfach nur ein wenig hungern. Aber gerade darüber will niemand mehr in der armen Welt mit sich reden lassen, weil keiner mehr die Rechtmäßigkeit der Riesenschulden anerkennt. Denn diese Schulden wurden ohne Wissen & Zustimmung der Öffentlichkeit angehäuft und die Menschen hatten auch keinen Anteil oder Nutzen an der Verwendung dieser Mittel. Daher erklärten ihre Repräsentanten auf dem Kölner Weltwirtschaftsgipfel 1999: »Wir haben damit einfach nichts zu tun!«

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Am Ende des 19. Jahrhunderts, als das spanische Weltreich zerfiel und der amerikanische Einfluß zunahm, wünschte sich das kubanische Volk – damals unter spanischer Herrschaft – eine eigenständige Regierung. Obwohl versprochen, kam es nie zu demokratischen Reformen. Dann scheiterte die kubanische zuckerexportierende Wirtschaft: die Konkurrenz der Zuckerrübenhersteller in Europa und andernorts, zusammen mit dem Protektionismus der Amerikaner, zerstörten die Zuckermärkte und drückten den weltweiten Zuckerpreis von acht auf zwei Cents pro Pfund. Als Entbehrung und Not zunahmen, suchten die Kubaner Zuflucht im Guerillakrieg. Nachts brannten sie die Plantagen der Loyalisten nieder und tagsüber versteckten sie sich in den Bergen. Um die Ordnung wieder herzustellen, kerkerten die verärgerten Spanier die Verdächtigen in Internierungslager ein. Die Amerikaner sympathisierten mit den Kubanern, bewaffneten die Guerillas und sprachen von Intervention. Darauf folgte Krieg und die Spanier waren schnell in die Flucht geschlagen. In den späteren Friedensverhandlungen argumentierten die Spanier, daß die Amerikaner – die nunmehr die kubanische Oberhoheit innehatten – die Schulden der Kubaner übernehmen sollten. Die Spanier bestanden auf einem Prinzip des internationalen Rechts: »Verbindlichkeiten eines Staates gehören einem Land und seinem Volk und nicht einer Regierung. Es würde den meisten grundlegenden Vorstellungen von Gerechtigkeit entgegenlaufen und wäre mit den Diktaten des universellen Bewußtseins der Menschheit unvereinbar, wenn ein Herrscher, der all seine Rechte über ein Gebiet und dessen Bewohner verlieren würde, dennoch an die Verbindlichkeiten gebunden bliebe, die er ausschließlich für deren Leitung und Regierung eingegangen ist«.

Um ihr Argument zu bekräftigen, zitierten die Spanier historische Präzedenzfälle. Die Amerikaner antworteten, die von den Spaniern angeführten Fälle seien rechtlich und moralisch auf die sogenannte »kubanische Schuld« nicht anwendbar, deren Last »den Menschen von Kuba ohne deren Einverständnis und durch Waffengewalt auferlegt, einer der Hauptfehler war, für dessen Abschaffung der Kampf um die Unabhängigkeit Kubas unternommen wurde.« Außerdem, so fügten die Amerikaner hinzu, waren viele Darlehen dazu bestimmt, Angriffe der kubanischen Bevölkerung niederzuwerfen, die gegen die spanische Vorherrschaft revoltierte. Die Darlehen wurden somit gegen die Interessen der Kubaner erweitert. »Es sind Schulden, die von der Regierung Spaniens für ihre eigenen Zwecke und durch ihre eigenen Vertreter geschaffen wurden, bei denen die Kubaner keinerlei Stimmrechte hatten.« Als solche, so argumentierten die Amerikaner, könnten diese Schulden nicht als (kubanische) Landesschulden angesehen werden, noch für einen Nachfolgerstaat verbindlich sein. Am Ende erkannten die Vereinigten Staaten nie irgendeine Haftung für die kubanischen Schulden an. Der Streit bezüglich der »kubanischen Schulden« wurde einer der strittigsten Fälle der Schuldenzurückweisung – eine Zurückweisung nicht aufgrund der Tatsache, daß die Schulden dem Nachfolger eine übermäßige Last auferlegten, sondern weil sie für unrechtmäßige Zwecke von unrechtmäßigen Parteien gemacht wurden. Solche Schulden wurden in der Rechtsprechung bekannt als »verhaßte Schulden«.

25 Jahre nach Beendigung des Krieges zwischen Spanien und Amerika gab Alexander Nahum Sack der rechtlichen Doktrin der verhaßten Schulden eine Form. Sack, ein ehemaliger Minister des Zarenrußlands und, nach der Russischen Revolution, Professor des Rechts in Paris, schrieb zwei Hauptwerke über die Verpflichtungen eines Nachfolgersystems: »The Effects of State Transformations on Their Public Debts and Other Financial Obligations« und »The Succession of the Public Debts of the State«. Da Nationalgebiete zu unabhängigen Nationen wurden, Kolonien durch Republiken und Militärregierungen durch Zivilregierungen ersetzt wurden, die Grenzen in Europa sich andauernd änderten und emporkommende neue Ideologien von Sozialismus, Kommunismus und Faschismus alte Ordnungen überwarfen, behandelten Sacks Schuldentheorien die praktischen Probleme, die durch solche Staatsänderungen geschaffen wurden. Wie viele andere auch, so glaubte Sack, daß die Haftung für öffentliche Schulden intakt bleiben sollte, da diese Schulden Verpflichtungen des Staates darstellen – wobei der Staat ein Gebiet und nicht eine besondere Regierungsstruktur ist. Er begründete dies nicht auf einem Diktat natürlicher Gerechtigkeit, sondern auf den Erfordernissen des internationalen Handels. Jedoch glaubte Sack, daß Schulden, die nicht im Interesse des Staates gemacht wurden, nicht an diese allgemeine Regel gebunden werden sollten. Einige Schulden, so sagte er, seien »dettes odieuses«. Falls eine despotische Macht Schulden nicht für die Bedürfnisse und im Interesse des Staates, sondern zur Stärkung seines despotischen Regimes und zur Unterdrückung der dieses Regime bekämpfenden Bevölkerung usw. macht, so sind diese Schulden von der Bevölkerung des ganzen Staates verhaßt. Diese Schulden stellen keine Verbindlichkeit für das Land dar; es sind die Schulden eines Regimes, eine persönliche Schuld der Macht, die sie aufgenommen hat, folglich verfallen sie mit dem Verfall dieser Macht. Die Gründe dafür, daß diese Schulden nicht als Belastung des Staatsgebietes angesehen werden können, bestehen darin, daß solche Schulden nicht eine der Bedingungen erfüllen, die die Rechtmäßigkeit von Staatsschulden bestimmen: die Staatsschulden müssen für die Bedürfnisse und im Interesse des Staates gemacht und die Gelder daraus dafür verwandt werden. »Verhaßte« Schulden, von denen die Gläubiger wissen, daß sie gemacht und zu Zwecken verwandt werden, die den Interessen der Bevölkerung entgegenlaufen, bringen diese jedoch auch nicht in Mißkredit – wenn es der Bevölkerung gelingt, die Regierung loszuwerden, die die Schulden aufgenommen hat. Die Gläubiger haben hinsichtlich der Menschen einen feindseligen Akt begangen; von daher können sie nicht erwarten, daß eine Bevölkerung, die von einer despotischen Macht befreit wurde, die »verhaßten« Schulden übernimmt, die persönliche Schulden dieser Macht sind. Für Sack waren verhaßte Schulden nichts Neues. Er hatte miterlebt, wie die Schulden der Zaren zuerst von der provisorischen Regierung anerkannt und dann umgehend zurückgewiesen wurden, als die Bolschewiken erst einmal an der Macht waren. 1918 ordnete die neue sowjetische Regierung an: »Alle Auslandschulden werden hiermit ohne jegliche Einschränkung oder Ausnahme für null und nichtig erklärt.« Die Schuldenzurückweisung der Bolschewiken forderte das internationale Recht heraus. Um willkürliche Zurückweisungen von Schulden zu vermeiden, schlug Sack vor, von einer neuen Regierung den Beweis zu verlangen, daß die Schulden dem öffentlichen Interesse schlecht dienten und daß die Gläubiger sich dessen bewußt waren. Aus diesem Grund schrieben Anwälte von The First National Bank of Chicago 1982 in einem berühmten Artikel: »Die Folgen eines Wechsels der höchsten Staatsgewalt in bezug auf die Darlehensverträge können zum Teil von der Verwendung des Darlehensertrags durch den Vorgängerstaat abhängen. Falls die Schuld des Vorgängers als »verhaßt« angesehen wird, d.h. wenn der Darlehensertrag gegen das Interesse des ortsansässigen Volkes verwandt wird, so kann die Schuld dem Nachfolger nicht angelastet werden.« »Handelsbanken sollten sich dieser Gefahren solcher Doktrinen bewußt sein«, warnten die Anwälte der Bank. »Da Nachfolger-Regierungen Doktrinen beschwört haben, die auf der ›verhaßten‹ oder ›feindseligen‹ Verwendung der Erträge begründet sind, sollten Darlehensgeber mit Genauigkeit die Verwendung der Darlehenserträge beschreiben und, falls möglich, die Darlehensnehmer durch Sicherheiten, Gewährleistungen und Klauseln zu einer solchen Verwendung verpflichten.« Die Konsequenzen könnten einem den Atem stocken lassen: die Chase Manhattans, Lloyds und andere Banken könnten herausfinden, daß ihre dem Süden gewährten Darlehen nur von den persönlichen Vermögen der Marcos und der Mobutus, die die diesbezüglichen Verträge geschlossen haben, eintreibbar sind.

Oder den Bothas, den De Beers und den Vorsters Südafrikas.

Im Rahmen einer großen weltweiten Kampagne für das Südliche Afrika wird medico zusammen mit seinen Partnern den Deutschen Banken in Kürze die Rechnung für die Apartheid präsentieren. Auf Entschuldung und auf Entschädigung. Helfen Sie bitte mit! Das Spendenstichwort für die Kampagne: »Südafrika«.

Den ungekürzten Text von »Odious debt« können Sie zusammen mit zwei Stellungnahmen unserer südafrikanischen Verbündeten gerne kostenlos bei uns anfordern.

Veröffentlicht am 01. September 1999

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