Sicherheit

Neue Antagonismen

Der Krieg, der die Angst besiegen soll, hat globale Ausmaße und sein Schauplatz ist das tägliche Leben. Von Achille Mbembe

Der Sicherheitsstaat wird aus einem Zustand der Unsicherheit gespeist, an dessen Schaffung er beteiligt ist und auf den er eine Reaktion zu sein behauptet. Während der Sicherheitsstaat eine Struktur darstellt, ist der Zustand der Unsicherheit ein Gefühl oder ein Affekt, eine Lage oder ein Verlangen. Mit anderen Worten, der Zustand der Unsicherheit bildet die Grundlage für die Funktionsweise des Sicherheitsstaates, insofern dieser letztlich eine Struktur darstellt, deren Aufgabe es ist, die für das heutige Leben konstitutiven Triebkräfte anzugehen, zu organisieren und umzuleiten. Der Krieg, der die Angst besiegen soll, ist indessen weder lokalen noch nationalen, noch regionalen Charakters. Er hat globale Ausmaße und sein Schauplatz ist das tägliche Leben.

Fast überall hat sich das traditionelle Feld der Antagonismen aufgelöst. Innerhalb der nationalen Grenzen erleben wir die Entwicklung neuer Formen der Gruppenbildung und des Kampfes. Sie basieren nicht mehr auf der Klassenzugehörigkeit, sondern auf Verwandtschaft und damit auf Blutsbanden. An die Stelle der alten Unterscheidung zwischen Freund und Feind ist die zwischen Verwandten und Nichtverwandten getreten, das heißt zwischen solchen, die durch das Blut oder die Abstammung miteinander verbunden sind, und solchen, von denen man glaubt, dass sie anderer Abstammung seien und einer anderen Kultur und einer anderen Religion angehörten. Diese Zugewanderten können letztlich nicht als Mitbürger gelten und hätten fast nichts mit uns gemein.

Sie leben unter uns, aber da sie nicht wirklich zu uns gehörten, müssten sie einfach zurückgestoßen oder auf ihren Platz verwiesen oder einfach aus dem Lande geschafft werden im Rahmen des neuen Sicherheitsstaats, der unser Leben heute prägt. Die innere Befriedung, der molekulare oder „stumme Bürgerkrieg“, die gewaltige Zahl der Inhaftierten, die Entkoppelung von Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit, die außergesetzlichen Hinrichtungen im Rahmen von Strafverfolgungspolitik – all das trägt zur Verwischung der alten Unterschiede zwischen innerer und äußerer Sicherheit bei, vor dem Hintergrund überbordender rassistischer Affekte.

Der Auszug stammt aus dem Buch „Politik der Feindschaft“ von Achille Mbembe, erschienen 2017 bei Suhrkamp. Der kamerunische Philosoph, der in Südafrika lehrt und lebt, wird einer der Hauptredner beim medico-Festakt in der Urania und auf den medico-Veranstaltungen während der Konferenz der Humboldt-Uni zum Thema Emanzipation am 25. und 26. Mai 2018 in Berlin sein. 

Achille Mbembe ist ein kamerunischer Historiker und politischer Philosoph. Er zählt zu den Vordenkern des Postkolonialismus. Mbembe lehrt heute an der University of the Witwatersrand in Johannesburg. Für sein Buch Kritik der schwarzen Vernunft wurde Mbembe 2015 mit dem 36. GeschwisterScholl-Preis ausgezeichnet.


Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 1/2018. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. <link verbinden abonnieren>Jetzt abonnieren!

Veröffentlicht am 24. April 2018

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