Kommentar

Über die Zukunft

von Fidel Castro

Die herrschende Wirtschaftsordnung dieses Planeten wird vergehen. Jedes Kind begreift das, wenn es nur die Grundrechenarten beherrscht, um auf die Note »ausreichend« zu kommen. Dennoch herrscht eine verbreitete Dummheit, genau jene als Skeptiker zu denunzieren, die diese Prognose stellen. Das präsente System ist unhaltbar: es gründet auf destruktiven Regeln, die beide, Gesellschaft und Natur, ins Chaos stürzen. Selbst die Theoretiker der neoliberalen Globalisierung, ihre besten Verkünder und Verfechter, zeigen sich unsicher und erklären sich widersprüchlich. Es gibt tausend Fragen, auf die sie keine Antwort haben.

Verlogen ist, wenn gesagt wird, die Freiheit des Menschen und die absolute Freiheit des Marktes seien untrennbare Begriffe, so als ob die Gesetze des letzteren, welche die egoistischsten, erbarmungslosesten Sozialordnungen hervorgebracht und den Menschen zu einer bloßen Ware degradiert haben, mit der Freiheit des Menschen im Einklang wären. Die Millionen Kinder auf der Welt, gezwungen, für ihren Lebensunterhalt zu schuften, sich zu prostituieren, ihre Organe zu »spenden« & Drogen zu verkaufen; die Abermillionen Arbeitslosen, das ganze Elend, die Geschäfte mit Drogen und Migranten sind – wie der Kolonialismus – von Gestern und eine dramatische Folgeerscheinung moderner Nichtentwicklung. Das Produkt von Systemen, deren Basis die Gesetze des Marktes sind.

Die heutige Weltordnung ist aus vielen Gründen unrettbar. Neue Konstellationen treten auf, die sich jeglicher Kontrolle seitens der Regierungen und internationalen Finanzinstitutionen entziehen. Es geht bereits nicht mehr nur um die künstliche Schaffung großen Reichtums ohne jegliches Verhältnis zur realen Wirtschaft. Allein die Finanzkrise Rußlands, auf das nur 2% des Bruttoinlandsproduktes aller Länder der Welt fallen, bewirkte ein Sinken des Dow-Jones an der New Yorker Börse um 512 Punkte, an nur einem Tag. Panik brach aus, es drohte eine Art Südostasien in Lateinamerika und damit ein großes Risiko für die US-amerikanische Wirtschaft. Mit Mühe konnte vorerst die Katastrophe verhindert werden. Alle Welt spricht von der internationalen Finanzkrise. Die einzigen, die noch nichts darüber erfahren haben, sind die US-amerikanischen Bürger. Sie haben mehr denn je ausgegeben und schreiben bereits rote Zahlen. Doch das macht nichts. Ihre großen Konzerne investieren das Geld der anderen. Da der Binnenmarkt groß ist, hält sich die Wirtschaft anscheinend gut, wenngleich die Gewinne der Konzerne gesunken sind. Mega-Fusionen folgen, Euphorie: Die Aktienpreise steigen erneut. Noch einmal wird russisches Roulett gespielt. Die Theoretiker des Systems haben den Stein der Weisen entdeckt. Sämtliche Zugänge werden überwacht, damit keine den Traum störenden Gespenster eindringen können. Schon wird das Unmögliche möglich. Krise? Niemals!

Ein Phänomen, das täglich riesigere Ausmaße annimmt, sind die Spekulationsgeschäfte mit Währungen. Sie betragen mindestens eine Billion Dollar täglich. Vor knapp 14 Jahren betrug diese Spekulationssumme noch 150 Milliarden im Jahr. All das bezahlt die immense Mehrheit der Völker der Welt mit dem stetem Risiko ihres ökonomischen Zusammenbruchs. Bei der kleinsten Unvorsichtigkeit entwertet der Ansturm der Spekulanten die Währung eines jeden ihrer Länder. Die Weltordnung hat dafür die Bedingungen geschaffen. Absolut niemand ist sicher oder kann es sein. Die Wölfe, auf Computerprogramme gestützt, wissen wo, wann und warum sie angreifen.

Ein Nobelpreisträger der Ökonomie schlug vor 14 Jahren vor, als die Spekulationen ein Zweitausendstel der heutigen betrugen, jedes Spekulationsgeschäft dieser Art mit einem 1% zu besteuern. Heute wäre dieses eine Prozent ausreichend für die Entwicklung sämtlicher Länder der Dritten Welt. Es wäre eine Form der Regulierung der schädlichen Folgen der Spekulation. Doch regulieren? Das kollidiert mit der fundamentalistischen Doktrin und stört den gelogenen Traum vom Paradies des freien Marktes. Im Gegenteil gibt es noch allerhand zu deregulieren, vor allem den Arbeitskräftemarkt. Die Arbeitslosensicherung ist auf ein Minimum zu senken, um angebliche »Faulenzer« zu erziehen. Das Rentensystem ist zu privatisieren. Die Aufgabe des Staates bleibt die Ausübung der Gewalt: Polizei und Armee. Um Proteste niederzuschlagen und Kriege zu führen. Daß die gegenwärtige Wirtschaftsordnung unrettbar ist, zeigt die Verletzlichkeit des Systems, das unseren Planeten in ein grandioses Kasino, Millionen Menschen und gelegentlich ganze Gesellschaften in Glücksspieler verwandelt und die Funktion des Geldes und der Investitionen verfälscht hat, denn ihr Streben ist weder auf die Produktion noch auf das Anwachsen der Güter der Welt gerichtet, sondern einzig darauf, um jeden Preis mehr Geld mit Geld zu gewinnen.

Eine derartige Deformation führt die Weltwirtschaft unvermeidlich ins Desaster. Deren Ordnung hat zu kämpfen mit Inflation, Rezession, Deflation und Überproduktionskrisen. Unendlich reiche Länder wie Saudi Arabien haben bereits Haushalts- und Handelsbilanzdefizite, obwohl sie 8 Millionen Barrel Erdöl pro Tag exportieren. Die optimistischen Wachstumsprognosen lösen sich in Rauch auf.

Es gibt nicht die geringste Vorstellung, wie die Not der Dritten Welt zu lösen ist. Welches Kapitalvermögen, welche Technologien, Vertriebsnetze, Exportkredite stehen den unterentwickelten Ländern zur Verfügung, mit denen sie sich Zutritt zu Märkten verschaffen könnten? Wo sind die Verbraucher ihrer Produkte? Wie soll man die Mittel für das Gesundheitswesen in Afrika beschaffen? Wo 22 Millionen Menschen HIV-positiv sind und die Bekämpfung nur dieser einen Krankheit nach dem heutigen Preisniveau 200 Milliarden Dollar jährlich kosten würde? Wie viele werden sterben müssen, bis ein schützender Impfstoff oder ein heilendes Medikament zur Verfügung steht? Sechs Milliarden Menschen leben auf diesem Planeten. Es ist sicher, daß es in nur 50 Jahren 9,5 Milliarden sein werden. Die Gewährung von Essen, Gesundheit, Bildung, Arbeit, Kleidung, Wohnraum, Trinkwasser und Elektrizität für eine derart große Anzahl von Menschen, die ausgerechnet in den ärmsten Ländern leben werden, wird eine kolossale Herausforderung sein. Man wird zuerst die Konsumptionsmuster definieren müssen, denn wir dürfen nicht weiterhin den Geschmack und den Lebensstil des Verschwendungsmodells der Industriegesellschaften imitieren. Das wäre Selbstmord. Die Entwicklung der Welt darf auf keinen Fall den transnationalen Konzernen und den chaotischen Gesetzen des Marktes überlassen werden.

Auszüge aus der Rede des Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz anläßlich der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Sieges der Revolution in Santiago de Cuba am 1. Januar 1999

Veröffentlicht am 01. April 2000

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