Gemeinsame Erklärung der Alternativkonferenz Public Eye on Berlin zum „World Health Summit“ in Berlin

Einen Bericht über "Public Eye on Berlin" finden Sie hier im medico-Hausblog.

Gemeinsame Erklärung

Vom 15. bis 18. Oktober 2009 veranstaltet die Berliner Charité unter Schirmherrschaft von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy den „World Health Summit“ (WHS). Die Organisatoren streben eine alljährliche Zusammenkunft von Medizinern, Wissenschaftlern, Politikern und Vertretern der privaten Gesundheitswirtschaft an.

Gesundheitswirtschaft soll künftig enger mit dem Weltmarkt verbunden werden. In Anlehnung an den G8-Club der führenden Wirtschaftsnationen ist die Einrichtung eines „M8“ geplant, einer Allianz der international führenden Forschungseinrichtungen.

Nicht Fragen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge bestimmen das Programm des Berliner Gipfels, sondern Überlegungen, wie Forschung und private Gesundheitswirtschaft zur Verbesserung individueller Versorgung beitragen können. Damit droht das öffentliche Gut Gesundheit zu einer Ware zu werden, die nur noch von technischen und betriebwirtschaftlichen Kriterien bestimmt wird.

Dieser Gesundheitsgipfel ist nicht geeignet, weltweite Gesundheitsprobleme anzugehen. Aufgrund seiner inhaltlichen wie organisatorischen Ausrichtung droht der Gipfel eher zu den Problemen beizutragen, die er vermeintlich zu lösen gedenkt.

Der beispiellose medizinische Fortschritt erreicht eine Mehrheit der Weltbevölkerung nur unzureichend – oder gar nicht. Noch immer sterben alljährlich Millionen von Menschen an Krankheiten, die gut behandelbar wären. Das Menschenrecht auf Gesundheit ist oft nur ein bloßer Schein. 2 Mrd. Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser; 1 Mrd. leiden an Hunger und Unterernährung; ein Drittel der Weltbevölkerung kann sich nicht einmal lebensnotwendige Arzneimittel leisten.

Gleichzeitig wächst die Sorge vor der globalen Ausbreitung neuer Epidemien oder den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit, von dem wiederum diejenigen am meisten betroffen sind, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Für viele arme Menschen sind es meist die alt bekannten Armutskrankheiten, die heute wieder auf dem Vormarsch sind, allen voran die Tuberkulose, Malaria oder auch HIV und Aids.

Ein Weltgesundheitsgipfel, der diesen Namen verdiente, müsste

  • das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Partizipation als Grundvoraussetzung für Gesundheit in den Vordergrund stellen,
  • das Recht auf den Zugang zu Gesundheitsdiensten für alle – unabhängig von der Kaufkraft - garantieren,
  • eine Forschung fördern, die konsequent an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist,
  • allen Menschen, auch den Bewohnern von Armutsregionen und „Menschen ohne Papiere“ bestmögliche Versorgung zuteil werden lassen,
  • diejenigen an der Erarbeitung von Lösungen beteiligen, um deren Gesundheit es schließlich geht,
  • ein Augenmerk auf diejenigen richten, die durch die Krankheit ihrer PartnerInnen, Kinder oder Eltern in soziale Not geraten,
  • das öffentliche Gut Gesundheit durch Förderung solidarischer Finanzierungssysteme unterstützen,
  • die bestehenden und in einem weitaus höheren Maße legitimierten Strukturen der Weltgesundheitsorganisation WHO stärken, statt ein neues Gremium von „Machern“ zu schaffen,
  • den eingeschlagenen Weg der Privatisierung von Gesundheit korrigieren.

„Medizin ist eine soziale Wissenschaft“ stellte schon Rudolf Virchow, der große Sohn der Berliner Charité vor bald 150 Jahren fest. Aber genau die Grundsätze einer solchen sozialen Wissenschaft lässt die Berliner Veranstaltung auf sträfliche Weise außer Acht.

Angesichts der globalen Gesundheitsprobleme ist das Bedürfnis, endlich entschlossen zu handeln, nur zu gut verständlich. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des WHS sollten aber nicht dem Irrglauben erliegen, Gesundheit könne schlicht von oben verordnet und technisch realisiert werden. Soziale Veränderungen, die Verbesserung der gesundheitlichen Lage und funktionierende soziale Dienste, die für alle gleichermaßen zugänglich sind, verlangen demokratische Beteiligung. Nur dort, wo die Grundsätze sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Partizipation gewährleistet sind, können auch wirksame Verbesserungen erreicht werden.

In diesem Sinne werden wir den „World Health Summit“ im Blick behalten: Auf der Grundlage einer in vielen Jahren gewachsenen Zusammenarbeit mit Gesundheitsaktivisten und -Initiativen in aller Welt.

Unterzeichner:

  • Action for Global Health Deutschland
  • action medeor
  • Aktionsbündnis gegen AIDS
  • attac AG Soziale Sicherung
  • Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin
  • Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Hamburg
  • BUKO Pharmakampagne
  • Deutsches Institut für Ärztliche Mission (Difäm)
  • Deutsche Aids-Hilfe
  • Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)
  • Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)
  • Globalisation and Health Initiative (GandHI)
  • IPPNW Deutschland – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung
  • medico international
  • MEZIS - Mein Essen zahl ich selbst / Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte
  • Missionsärztliches Institut Würzburg, Katholische Fachstelle für Internationale Gesundheit
  • OXFAM Deutschland
  • People's Health Movement
  • Refugio Villingen-Schwenningen
  • Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ)
  • Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VDPP)
  • Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) – Bundesvorstand, Bereich Gesundheitspolitik
  • World Vision Deutschland
  • Annelie Buntenbach, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)
  • Hans-Jürgen Urban, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Metall (IGM)
  • Kordula Schulz-Asche, Mitglied des Hessischen Landtags, Landesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen in Hessen
  • Angela Dorn, Mitglied des Hessischen Landtags, Landesvorsitzende der Grünen Jugend Hessen (GJH)
  • Heike Hänsel (MdB DIE LINKE)

Weitere Unterstützer wenden sich bitte an Thomas Seibert, medico international: seibert[at]medico.de

Veröffentlicht am 16. Oktober 2009

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