Festredner: Der Psychologe Georg Schramm

Die bürgerliche Wohltätigkeit hat viele Facetten, von denen einige gut erkennbar sind, wenn die Kronleuchter den Ballsaal in festlichem Glanz erstrahlen lassen. Ein Beispiel aus dem Jahr 1988, das leider kaum an Aktualität verloren hat. Tatort: Steigenberger Inselhotel Konstanz, das "erste Haus am Platz", Wohltätigkeits-Gala (Abendgarderobe erbeten).

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Wohltäterinnen und Wohltäter!

Wir erleben in vielfacher Hinsicht einen bemerkenswerten Abend. Ein exquisites Buffet, schöne Frauen und große Weine einer alten Kulturlandschaft, zusammengeführt in einer festlichen Ballatmosphäre, die wir nicht zuletzt der sorgfältigen Auswahl der Gäste verdanken. Auf den ersten Blick ist es ein scheinbarer Missstand, der diesen glanzvollen Abend hervorbringt. Beim millionenteuren Bau der neuen Kinderklinik fehlen am Ende ein paar zehntausend Mark für die kindgerechte Ausstattung. Professor Schwenk, der Klinikleiter, hat uns ja den unmittelbaren Anlass dargestellt. Lassen Sie uns zunächst für einen Moment der Frage folgen, weshalb derartige Ereignisse wie der heutige Wohltätigkeitsball so selten geworden sind, denn das war nicht immer so.

Es hat ja zu allen Zeiten die großen Bälle der Burschenschaften, Logen, Rotarier und Lions-Clubs gegeben, die wesentlich der Unterstützung und Förderung des männlichen akademischen Nachwuchses dienten. Auch die Stahlindustrie hat zu Beginn des Jahrhunderts, in den schweren Zeiten der Weimarer Republik und in der Krisenzeit der siebziger Jahre den Not leidenden und bedrängten Parteien Unterstützung zukommen lassen. Gänzlich unvergessen aber die Hilfe im Kleinen: Die unzähligen Feste und Basare rühriger Bürgersfrauen, die sich die Finger wund strickten für die wärmende Winterkleidung der einfachen Soldaten, die zum Wohle des aufsteigenden Bürgertums ins Feld zogen.

Natürlich brauchen wir heute keine Pulswärmer mehr für die Infanterie stricken. Und ein Ball wie dieser mit einer Spendensumme von 20-30.000,-DM könnte gerade mal einen Sitzgurt vom Schleudersitz der neuen Abfangjäger unserer Luftwaffe finanzieren. Fraglich ist auch, ob die von uns so beschenkten Kampfflieger die Spende auch mit einem dankbaren Leuchten ihrer dunklen Kinderaugen und einer kleinen Flugvorführung mit dem neuen Spielzeug vergelten würden.

In diesem Bereich ist also aus gutem Grund die Gemeinschaft aller Steuerzahler notwendig und – dies sei anerkennend hinzugefügt – sie wird in diesem Bereich ihrer Aufgabe auch gerecht. Aber wenn man oben den wehrhaften Arm des Volkskörpers mit der finanziellen Decke wärmt, werden unten die Füße kalt. Die Decke fehlt an der Basis des Gemeinwesens. Auch hier gibt es jedoch Grenzen des für die Spendenbereitschaft so wichtigen guten Geschmacks. Stellen Sie sich vor, die oben genannte Summe fehlt im benachbarten Etat: beim Dienstwagen des Landrats reicht es nicht für die S-Klasse. Der Landrat wäre gezwungen, einen nur mit dem unbedingt Erforderlichen ausgestatteten VW oder Opel fahren zu lassen mit allen schädlichen Konsequenzen für seine psychische Entwicklung. Ein Wohltätigkeitsball mit Tanzeinlage der Schreibkräfte und Tombola des Personalrats wäre kaum denkbar, das Spendenaufkommen eher gering. Der adäquate Platz von Wohltätigkeitsveranstaltungen ist deshalb ohne Zweifel der soziale Bereich. Nur hier ist eine finanzielle Lücke sinnvoll und trifft auch auf das schlummernde Bedürfnis potentieller Spender.

Es sei auf das in den USA weit verbreitete und bewährte System privater Spendenveranstaltungen hingewiesen, die heute ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens höherer Schichten geworden sind. Wie groß der allseitige Nutzen daraus ist, belegt vielleicht am Besten die Äußerung eines berühmten New Yorker Psychoanalytikers: "Viele Manager und beruflich Selbstständige können ohne ihr soziales und finanzielles Engagement in Welfare-Organisationen die Kälte des Berufslebens nicht mehr ertragen. …Das soziale Elend ist geradezu notwendig, um dort durch Wohltätigkeit Schuldgefühle abzubauen und der Freizeitdepression und Drogen- und Therapie-Abhängigkeit Besserverdienender vorzubeugen." Eine eindrucksvolle Symbiose.

In unserem Land ist es in der Wiederaufbauphase nach dem Krieg zur Errichtung eines so umfassenden öffentlichen Sozialnetzes gekommen, dass ein Verfall des Wohltätigkeitsstrebens in bürgerlichen Kreisen die Folge war. Und der kleine Mann begriff soziale Leistungen als ein forderbares Bürgerrecht.

Erst jetzt dringt wieder ins Bewusstsein aller – und unser Abend leistet in diesem Sinne einen wichtigen Dienst – dass bestimmte soziale Leistungen eine Gabe sind, die erst dann gewährt werden kann, wenn bestimmte Spielregeln wie steuerliche Entlastung Besserverdienender und Verzicht auf ihre Diffamierung eingehalten werden. Dieses neue gesellschaftliche Verständnis wird auch uns hier Versammelte mit dem Obulus von 150,-DM Eintritt aus der Anonymität namenloser Steuerzahler herausführen und macht uns zu in der Lokalpresse gefeierten Wohltätern unserer Gesellschaft.

Und wir können dadurch nicht nur unsere gesellschaftliche und politische Position festigen, sondern steigern auch unser persönliches Selbstwertgefühl. Zusammenfassend sollten wir in diesem gelungenen Abend eine Gelegenheit sehen, den Wirkmechanismus eines modernen Staates zu demonstrieren: Das Nehmen und Geben der bürgerlichen Führungsschichten. Oder wie der von uns allen so verehrte Kurt Tucholsky sagte: Wir nehmen die Mark, aber wir geben den Pfennig. So löst sich der scheinbare Widerspruch, liebe Festgäste. Und wenn sich Ihnen nun das vom ortsansässigen Pharmaunternehmen Byk Gulden gestiftete Buffet öffnet, denken Sie daran: Mousse au Chocolat ist etwas Feines, aber was Sie heute Abend erhalten, ist mehr, ist Humanismousse au Chocolat, Wohltat mit Geschmack.

Guten Appetit.

Veröffentlicht am 02. Dezember 2009

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