Ein Gasthaus in Bamako

Über eine Bildungsreise der etwas anderen Art nach Afrika.

Von Andrea und Florian Weber

Bamako ist die Hauptstadt und wirkt doch dörflich, eingehüllt in eine Wolke aus Abgasen und den Rauch unzähliger Holzkohlefeuer. Überall findet man Abfälle, übelriechende Kloaken, dazu das allgegenwärtige Geknatter und Gehupe uralter Autos und neuer chinesischer Motorräder. Das Leben findet am Straßenrand statt, wo jeder mit irgendetwas zu handeln scheint und man den Eindruck gewinnt, dass es wesentlich mehr Händler als Käufer gibt. Auf jeden Fall sind es viele Menschen, sehr viele Menschen. Um einen herum ist es wirklich lebendig, aber vergleichsweise wenig hektisch, sehr laut, aber ncht aggressiv; ein merkwürdiges Gefühl von Geborgenheit in all dem Gewusel und zwischen all dem Müll. Alles wirkt ziemlich irreal, ohne dass man das unangenehm fände, es würde auch gar nicht zu der Freundlichkeit und Friedlichkeit der Menschen hier passen.

Wir sind gemeinsam mit taz-Reisen und medico in die Zivilgesellschaft gereist und haben Projekte, Initiativen und basisdemokratische Einrichtungen vor Ort besichtigt – das sind unsere Sehenswürdigkeiten. Und nun sind wir bei der „Organisation der Ausgewiesenen Malis“ (Association Malienne des Expulsés – AME): seit 14 Jahren ein Treffpunkt für abgeschobene Migranten. Von Afrikanern für Afrikaner, Inkarnation der medico- Grundidee. Die Mitarbeiter des Radiosenders KAYRA – möglicherweise der einzige wirklich unabhängige Sender im Lande – hatten uns schon voller Begeisterung und solidarischem Stolz von diesem Projekt erzählt: Wie dort Leute aufgenommen werden, die nach langen Jahren der Arbeit in Europa eigentlich erst durch die Abschiebung ihre Wurzeln verlieren, weil sie als „Versager” von ihren Familien, in ihren Dörfern nicht mehr akzeptiert werden. Die AME kümmert sich um die Gestrandeten, sie gibt sonst völlig anonym bleibenden Schicksalen Gesicht und Stimme, sie versucht, diesen Menschen wieder eine Perspektive zu eröffnen. Die Organisation erklärt den Angehörigen, was wirklich passiert, sie macht Öffentlichkeitsarbeit und politischen Druck.

Projekte von Afrikanern für Afrikaner sind anscheinend keine Selbstverständlichkeit. Auch auf dem Weg von Radio KAYRA zur AME kommen wir immer wieder an adretten Schildern vorbei, die mehr oder weniger diskret auf Projekte von Nichtafrikanern für Afrikaner hinweisen: von der GTZ über Unicef bis hin zu unzähligen anderen Nichtregierungsorganisationen – das ganze Who is Who der Entwicklungshilfe scheint hier vertreten.

Aufbruch der Papierlosen

In den Räumen der AME prallen europäische Erwartungen von Betroffenheit bei der Verwaltung solcher Schicksale erst mal auf eine Fröhlichkeit und Lebendigkeit, die sozusagen eine strukturierte Variante des pulsierenden Lebens auf der Straße ist. Zur allgemeinen Betriebsamkeit kommt noch etwas anderes: die offizielle Einweihung des jetzt schon sagenumwobenen Lokals „Hand in Hand“.

Nicht zuletzt wegen der begeisterten Erzählungen der Radioleute über die AME kommen wir viel zu spät, trotzdem werden wir freundlich aufgenommen, eine „réunion” wird organisiert, Getränke werden gebracht. Es wird berichtet, es wird gefragt, Schicksale kommen zu Gehör. Vielleicht öffnet erst die wohltuende Atmosphäre hier den Blick auf die Verzweiflung hinter diesen Biographien, den man sonst aus Hilflosigkeit oder aus schlechtem Gewissen nicht riskieren würde. Allmählich merkt man selbst als unbedarfter Europäer manchem seine Betroffenheit auch an. Beispielsweise dem Senegalesen, den Großbritannien gleichsam über Mali abgeworfen, resp. entsorgt hatte und der sich vorläufig aus dem Meer der Hoffnungslosigkeit auf die AME-Insel retten konnte. Wir sind die EU-Luxusreisenden, er der Zwangsrückkehrer im falschen Land. Unsere Versuche bleiben hilflos, angesichts dieser beschämenden Diskrepanz etwas Solidarisches in Worte zu fassen. Eher steigert sich das Gefühl merkwürdiger Benommenheit und Irrealität – obwohl die Realität doch so knallhart ist? Oder weil die Realität so brutal ist?

Mit unseren Gastgebern legen wir ein paar Straßenzüge zu Fuß zurück, um zum neuen Restaurant der AME zu kommen. Es ist eindrucksvoll, wie schnell und wie zwanglos sich die „réunion“ in Einzelgespräche auflöst, einfach so und ganz ohne Programm. Wenn man sich eine leicht idealisierende Betrachtungsweise erlaubt: die Idee des „Hand in Hand“ war schon greifbar, bevor wir das hausfrontbreite Schild über dem nagelneuen, hellen und freundlichen Lokal entdeckten. Die weithin sichtbaren deutschen Worte im inzwischen nächtlichen, vielsprachigen und rußigen Bamako verstärken das nun schon fast angenehme Gefühl einer tranceähnlichen Verwirrung, dazu weithin hörbar Musik zur Feier der Eröffnung, später wird es noch Filmvorführungen unter freiem Himmel geben.

Der eigentliche Restaurantbetrieb soll erst in den nächsten Tagen beginnen, was aber der fröhlichen Atmosphäre keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Es öffnet sich eine positive Perspektive, an die diese Menschen vielleicht schon nicht mehr glauben konnten. Viele haben vor ihrer Ausweisung in Europa in der Gastronomie gearbeitet, nun werden sie ihre eigenen Chefs. Wie Mahamadou Keita, der jahrelang als „Papierloser” in Paris arbeitete und immer von seinem eigenen Lokal träumte, bevor er ausgewiesen wurde: nun ist er Generalsekretär der AME und es gibt ein solches Restaurant, wo sich Betroffene verabreden und austauschen sowie Ausgewiesene etwas Geld verdienen können. Nun gibt es eine Perspektive mehr.

Projektstichwort:

Die Hilfe des malischen medico-Partners Association Malienne des Expulsés (AME) für jene Abgeschobenen, die das europäische Migrationsregime nach Bamako ausfliegt, umfasst nicht nur die medizinische Sofort- und Nothilfe für die am Flughafen Gestrandeten, sondern entwickelt auch Angebote für Einkommen schaffende Maßnahmen wie das jüngst eröffnete Restaurant. Die AME bestreitet diese Programme aus Spendenmitteln von medico.

Das Stichwort lautet: Migration.

Veröffentlicht am 30. März 2010

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