Editorial

»Dagegenwart«

Eine Collage zum Krieg in Afghanistan von Arundhati Roy

»Als sich am Sonntag, 7. Oktober 2001, die Dunkelheit auf Afghanistan senkte, brachten die Fernsehsender computeranimierte Bilder von Marschflugkörpern, Stealth Bombern & ‚Bunkerbrechern‘. Auf der ganzen Welt schauten kleine Jungen mit großen Augen zu und vergaßen, nach neuen Videospielen zu quengeln. Die UN, inzwischen auf ein unwirksames Kürzel reduziert, wurden nicht einmal ersucht, die Luftangriffe zu genehmigen. Die USA ließen verlauten, es spiele keine Rolle, ob die ‚Beweise‘ vor einem ordentlichen Gericht Bestand hätten oder nicht. Auf diese Weise wurden in einem einzigen Augenblick Jahrhunderte der Rechtsprechung fahrlässig zunichte gemacht.

Selten werden Kriege von Menschen gewonnen, selten werden sie von Regierungen verloren. Es gibt keinen einfachen Weg aus dem brodelnden Morast von Terror und Brutalität, dem die Welt heute gegenübersteht. Es wird Zeit für die Menschen innezuhalten. Freiheit, Fortschritt, Wohlstand, Technik, Krieg – diese Begriffe haben eine neue Bedeutung. Leider fehlt bis heute jedes Zeichen von Einsicht bei den Führern der Internationalen Koalition. Oder bei den Taliban. Die Internationale Koalition gegen den Terror ist vor allem eine Intrige der reichsten und mächtigsten Länder der Welt. Sie produzieren und verkaufen fast alle Waffen dieser Welt, sie besitzen den größten Bestand an chemischen, biologischen und nuklearen Massenvernichtungsmitteln. Sie haben die meisten Kriege geführt, sind die Hauptverantwortlichen der moderen Geschichte für Völkermorde, Unterwerfungen, ethnische Säuberungen und Menschenrechtsverletzungen. Dies soll nicht heißen, daß die Terroristen, die am 11. September das Entsetzliche getan haben, nicht verfolgt oder zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Das müssen sie. Ist aber ein Krieg der beste Weg, um sie aufzuspüren? Wird man die Nadel finden, wenn man den Heuhaufen niederbrennt? Oder wird es den Zorn schüren und die Welt zur wahren Hölle für uns alle machen? «

Arundhati Roy, deren ungekürzten Text wir auf Wunsch gern zur Verfügung stellen, bezeichnet die fatale »Unabgeschlossenheit« des Projekts der Moderne: die Aufgabe der Vermeidung des Weltbürgerkriegs. Nur eine globale, autonome Öffentlichkeit kann dieses Ziel garantieren. Helfen Sie uns bei unserer Arbeit in dieser Absicht. Kostenlose Mehrfach- oder Nachbestellungen unseres Rundschreibens wären ein Beitrag. Unsere aktuellen Initiativen erfahren Sie via www.medico.de.

Herzlichst Ihr

Hans Branscheidt

Veröffentlicht am 01. November 2001

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