Der Traum von Anerkennung

Ein Interview mit Ghasam Makarem, Gründer des medico-Partners Helem und Mitbegründer von MARSA (Klinik für sexuelle Gesundheit), der sich für Rechte von Lesben, Schwulen, Trans- und Bisexuellen einsetzt.

Wir treffen uns im Café Younes, nahe der Hamra, der alten Einkaufsstraße im westlichen Beirut. Hier sitzen Studenten und linke Aktivisten, es gibt guten Kaffee, dazu einen zweistündigen kostenlosen Zugang zum lokalen W-LAN-Netz. Überall summen die Laptops, man chattet oder verfolgt die Live-Ticker von Al Jazeera und Al-Arabija zu Libyen, Ägypten und Bahrain. Mit seinen 40 Jahren und in seiner braunen Cordjacke wirkt Makarem eher unscheinbar, in seinen präzisen Antworten erkennt man den langjährigen politischen Aktivisten. „Helem“ ist eine Abkürzung für „Libanesische Schutzorganisation für Schwule und Lesben“, bedeutet im lokalen Arabisch aber auch „Traum“ und „Besonnenheit“.

Was fordert Helem?

Wir setzten uns für alle Menschen mit nicht-konformer Sexualität ein. Wir haben 60 aktive Mitglieder, doch ist unser Netzwerk größer. Viele Menschen treten aus politischen oder persönlichen Gründen nicht offen auf. In unserem Gemeindezentrum im Zico House kann man sich ungestört und ohne Anfeindungen treffen. Unser Ziel ist die Abschaffung aller Gesetze, die Schwule, Lesben, Transsexuelle und Intersexuelle diskriminieren.

Aber schwulenfeindliche Gesetze sind nicht alles…

Nein, uns geht es um das allgemeine Recht auf Teilhabe, etwa den freien Zugang zu Gesundheitsversorgung. Dafür arbeiten wir auch mit dem Gesundheitsministerium und dem nationalen Aids- Programm zusammen. Und wir haben Erfolg: Die staatliche Aids-Initiative fordert jetzt mit uns die Abschaffung aller diskriminierenden Gesetze. Zwischen 2001 und 2004 haben wir uns auch im Komitee gegen den Irakkrieg engagiert. Damit waren Homosexuelle erstmals auf Antikriegsdemonstrationen präsent.

Wer engagiert sich bei Helem?

Zu uns kommen vor allem junge Leute im Universitätsalter. Hier in Beirut wohnen sie nicht mehr bei ihren Familien, beginnen ein eigenes Leben. Unter Druck geraten sie erst auf dem Arbeitsmarkt.

Im Westen denken viele, dass Homophobie zum Islam gehört. Wie reagieren Moscheen und Kirchen auf euch?

Die Behauptung, der Islam sei homophob, ist problematisch, die islamische Geschichte in dieser Hinsicht sehr komplex. Gehen wir vom religiösen Wertekanon aus, wird die Homosexualität offiziell nur von den Kirchen verfolgt, besonders von der maronitischen. Die schiitische Moschee mag auch homophob sein, doch kodifiziert ist es nicht. Dabei wird auf uns eine schwule Identität projiziert, die in erster Linie im Westen geformt wurde. Schwulenhass ist auch keine reine Klassenfrage. In Beirut sind die besser gestellte Arbeiterklasse und die Mittelschichten weitaus toleranter als die Bewohner der armen Viertel oder der reichen aristokratischen Gegenden. Homophobie hängt eher damit zusammen, ob man Teil des städtischen Lebens ist.

Was meinen Sie damit?

Uns wird nicht nur ein europäischer Lebensstil, sondern auch eine zunehmende Kommerzialisierung von Sex zum Vorbild erklärt. Die Konsumorientierung der Bewegung in Europa ist auch bei uns angekommen. Besonders in Beirut öffnen immer mehr schwulenfreundliche Nachtclubs und Bars. Die Arbeit von Helem macht das nicht einfacher. Meine homosexuelle Identität bedeutet für mich nicht, ein Gay-Magazin zu kaufen, Homosexualität ist keine Frage des Konsums. Die neuen Pubs und Bars bedeuten allenfalls eine Freiheit für jene, die sie sich leisten können, uns geht es um gleiche Rechte in allen Bereichen.

Glauben Sie, dass der arabische Frühling die Rechte von sexuellen Minderheiten stärken wird?

Ich bin da sehr optimistisch. Man darf nicht vergessen, dass die Gesetze gegen Homosexualität in den arabischen Ländern noch aus der französischen und britischen Kolonialzeit stammen. Jetzt gibt es eine große Chance auf Veränderung. In Ägypten waren Schwule und Lesben Teil der Revolution, und die Presse hat darüber berichtet. Natürlich sind die Muslimbruderschaft und andere religiöse Organisationen stark, aber sie sind nur ein Teil eines neuen politischsozialen Gewebes mit starken demokratischen und säkularen Strömungen, die nicht einfach zu brechen sind. Das gilt auch für Tunesien. Es geht aber nicht nur um Bürgerrechte, sondern auch, und das wird oft vergessen, um ökonomische, soziale und politische Forderungen. Im Fall der Schwulen und Lesben meint das den freien Zugang zum Gesundheitswesen, zu Bildung, aber auch das Recht auf eine Wohnung. Schwule Männer werden oft aus Apartments geworfen und wenn sie keine Großfamilie haben oder die ganze Familie sie ablehnt, enden sie auf der Straße.

Wird sich das auch im Libanon niederschlagen?

Ägypten hat uns gezeigt, wie es möglich ist, Bewegungen so zu öffnen, dass viele Menschen integriert werden können. Solche Ansätze sehe ich jetzt auch im Libanon. Unser zentraler Punkt ist der Laizismus, der Aufbau einer säkularen Bewegung. Wir stehen hier einem konfessionalisierten System gegenüber, das in der Vergangenheit regelmäßig Bürgerkriege produzierte.

Das Interview führte Martin Glasenapp

Veröffentlicht am 11. April 2011

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