EU-Flüchtlingspolitik

Falsches Spiel

Vom Niger nach Mali: Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen „illegale“ Migration und Terrorismus sichert die EU ihre strategischen Interessen in der Sahel-Zone.

Von Lisa Schnell

Während einer Tagung zur Quotenregelung für die Verteilung von Flüchtlingen in Europa diese Woche haben die EU-Innenminister den Unterschied zwischen Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen betont. Gleichzeitig haben die EU-Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Italiens darauf gedrängt, die Zusammenarbeit mit Transitländern zu verstärken und konkret die Eucap-Einsätze in den Bereichen „Grenz- und Migrationsmanagement“ in Mali und Niger zu intensivieren. Beide Ansätze zeigen, wie sehr die EU darauf bedacht ist, die „illegale Einreise“ nach Europa zu verhindern und wie wenig sie auf eine Bekämpfung der tatsächlichen Ursachen von Flucht und Migration abzielt.

Sicherung von Interessen und Ressourcen

„Durch das Festhalten an der Differenzierung zwischen Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen versucht die EU, zwei Klassen von Flüchtlingen zu etablieren“, so Sabine Eckart, Projektkoordinatorin für Migration und westliches Afrika. Während Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern ein beschleunigtes und perspektivisch auch (z.B. nach Marokko oder Niger) vorgelagertes Prüfverfahren zugänglich gemacht werden soll, soll allen anderen Überlebensflüchtlingen schnell und unbürokratisch der Weg nach Europa versperrt bzw. ihre Abschiebung erleichtert und beschleunigt werden, sollten sie es auf Europäisches Hoheitsgebiet schaffen – unabhängig davon, ob sie anderweitiger Gewalt, Verfolgung oder Lebensbedrohung ausgesetzt waren oder noch sind.

Die Ausweitung der Eucap-Einsätze und die Einrichtung von Zentren zum Management von Flucht und Migration, könnte laut Ousmane Diarra, Präsident der medico-Partnerorganisation AME in Mali, von der EU genutzt werden, um ihre Kenntnisse und Interventionsmöglichkeiten auszubauen, vor allem weil „illegale Migration“ oft mit Unsicherheit gleichgesetzt wird. Und sein Kollege Hassane Boukar von Alternative Espaces Citoyens du Niger konkretisiert: „Die Ausweitung der Eucap-Einsätze in der Sahel-Zone unter dem Deckmantel des Kampfes gegen illegale Migration und Terrorismus ist ein Vorwand der EU, strategische Interessen in der Region zu verfolgen und den eigenen Einfluss in der Region zu sichern.“

Kein Zufall: Strategische Sichtbarkeit

„Es ist kein Zufall, dass die IOM ausgerechnet jetzt Zahlen von verdursteten Flüchtlingen in der nigrischen Sahara publiziert – etwas, was lange unsichtbar war, wird nun strategisch sichtbar gemacht.“ Betont Sabine Eckart. Wie Hassane Boukar erklärt, gibt es derzeit eine Medienkampagne „um den Niger als das Land zu präsentieren, durch das die Flüchtlingsströme ziehen, die dann in Lampedusa ankommen.“

In Pressemitteilungen zu verdursteten Flüchtlingen in der nigrischen Sahara weist die IOM aktuell verstärkt hin auf durchlässige Landesgrenzen als Ursache der großen Zahl von Menschen, die den Niger als Transitroute Richtung Europa benutzen. Damit unterstützt sie die Argumentation der EU, die eine „Lösung“ des Flüchtlingszustroms in erhöhten Sicherheitsvorkehrungen in Drittstaaten sieht.

Neue Fluchtgründe

Dabei sind nicht unzureichende Sicherheitsvorkehrungen in Ländern wie Niger, sondern Armut, Gewalt, Umweltkatastrophen und Chancenlosigkeit die Ursache, warum Tausende Menschen aus West- und Zentralafrika sich auf der Suche nach menschenwürdigen Lebensgrundlagen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. In Ihrer Pressemitteilung über die Toten in der Sahara geht die IOM hierauf nicht ein. Ganz im Sinne der EU-Argumentation zeige laut IOM die aktuelle Tragödie stattdessen, wie wichtig eine Unterstützung der nigrischen Regierung hinsichtlich effektiver Grenzkontrolle ist, um illegale Migration zu adressieren.

Laut Hassane Boukar dienen Migration und Terrorismus als Vorwand, „um auch Niger in das europäische System des Kampfes gegen die Freizügigkeit einzubinden und sich den Zugriff auf unsere Ressourcen zu sichern.“ Damit werden neue Fluchtgründe geschaffen, zu deren Behebung ein Politikwechsel der EU dringend nötig ist.

Zum Weiterlesen auf französisch: H. B. Tcherno: Niger, nouveau gendarme de l’UE

Veröffentlicht am 18. Juni 2015

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