UN-Untersuchungen Syrien

Crowdfunding gegen Kriegsverbrecher

1,9 Millionen Euro für die unabhängige Untersuchung von Kriegsverbrechen in Syrien – diese Summe wollen syrische und europäische Menschenrechtsgruppen mit der heute startenden Kampagne #crowd4justice sammeln. Damit wollen sie die vor 6 Monaten von der UN-Vollversammlung beschlossene unabhängige Ermittlung von Kriegsverbrechen in Syrien endlich ermöglichen. Unterstützung bekommt die Kampagne dabei aus Politik und Kultur – etwa von Schriftsteller Navid Kermani und der Band Tocotronic.

Weil die Regierungen der UN-Mitgliedstaaten nicht genug Geld für die Verfolgung schwerster Kriegsverbrechen in Syrien zur Verfügung stellen, sammeln ab heute unter dem Motto #crowd4justice syrische und deutsche Menschenrechtsorganisationen auf der Webseite www.crowd4justice.org, damit die UN-Untersuchungen endlich beginnen können.

„Vor sechs Monaten hat die UN-Vollversammlung Ermittlungen zu den Kriegsverbrechen in Syrien beschlossen. Geschehen ist bisher nichts“, so der Menschrechtsanwalt Mazen Darwish, Leiter des Syrian Center for Media and Freedom of Expression (SMC). „Jeder Tag, an dem nicht ermittelt wird, ist ein Geschenk an die Täter, denn es zeigt: Kriegsverbrechen lohnen sich.“

Die von der UN-Generalversammlung verabschiedete Resolution A/71/248 sieht einen unabhängigen Mechanismus (IIIM – „International, Impartial and Independent Mechanism”) zur Untersuchung schwerwiegendster Verbrechen in Syrien vor. Die Arbeit wurde jedoch bis heute nicht aufgenommen, weil im Jahresbudget für 2017 von 13 Millionen US-Dollar noch rund 4 Millionen US-Dollar (3,8 Millionen Euro) fehlen. Anders als die bereits bestehende Syrien-Ermittlungskommission soll der neue Mechanismus eine quasi-staatsanwaltliche Funktion übernehmen.

„Strafverfolgung in Syrien darf nicht an fehlendem Geld scheitern. Jede Spende der Zivilgesellschaft wird ein Zeichen der Beschämung für die Staaten sein“, so Elias Perabo von der Menschenrechtsorganisation Adopt a Revolution, die die Crowdfunding-Kampagne www.crowd4justice.org initiierte

In zehn Wochen will #crowd4justice mindestens die Hälfte der fehlenden 3,8 Millionen Euro im Jahresbudget der UN-Ermittler aufbringen. Damit will die Kampagne ein Zeichen setzen, dass die Zivilgesellschaft die Untätigkeit der Regierungen angesichts der Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Syrien nicht hinnimmt. Die Initiatoren der Kampagne, die seit vielen Jahren die syrische Zivilgesellschaft unterstützen, fordern insbesondere die Bundesregierung auf, alle diplomatischen und politischen Möglichkeiten im Rahmen der EU zu nutzen, damit die fehlenden Mittel endlich zusammenkommen, selbst wenn Deutschland bereits eine Millionen Euro für IIIM zugesagt hat. „Für die EU wären es Peanuts die fehlende Summe auszugleichen und damit den politischen Willen für Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu unterstreichen“, so Thomas Seibert von der Hilfsorganisation medico international.

Neben Adopt a Revolution und Medico International wird die Kampagne vom Syrischen Zentrum für Medien und Pressefreiheit (SCM) aus Damaskus und dem Syrian Center For Legal Studies and Researches um den syrischen Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni, sowie dem belgischen Menschenrechtsnetzwerk 11.11.11 getragen.

Unterstützung findet die Kampagne zudem bei Prominenten aus Politik und Gesellschaft, darunter dem Schriftsteller Navid Kermani, der Band Tocotronic, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschuss des Bundestages Norbert Röttgen, dem Außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Niels Annen und der Grünen Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner.

 

Für Interviewanfragen zur Kampagne #crowd4justice stehen ihn zur Verfügung

- Elias Perabo, Geschäftsführer Adopt a Revolution, presse@ adoptrevolution.org, 0176-81022048

- Thomas Seibert, Menschenrechtsreferent, medico international, seibert@ medico.de, 0160-97557350

 

Hintergründe zur Kampagne und den UN-Untersuchungen:

Der IIIM fungiert als eine Art Staatsanwaltschaft. Anders als bei bisherigen UN-Untersuchungen in Syrien geht es nicht nur um die Sicherung und Auswertung von Beweisen und Zeugenaussagen, sondern auch um die Zuordnung der Verbrechen zu konkreten Tatverdächtigen. Die Akten sollen dann Gerichten zur Verfügung gestellt werden, damit sie die Täter zur Rechenschaft ziehen können.

Die Resolution A/71/L.48 der Generalversammlung gilt als bemerkenswert, da die Verfolgung von Kriegsverbrechen vor allem dem UN-Sicherheitsrat obliegt. Im Sicherheitsrat hat aber bislang Russland sämtliche Initiativen zur Aufklärung von Kriegsverbrechen in Syrien durch sein Veto blockiert. Die Resolution der Generalversammlung gilt als Versuch, die UN wieder handlungsfähig zu machen - immerhin sind die UN die einzige legitime Instanz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten.

Bisher haben drei Staaten jeweils über eine Millionen US-Dollar für die UN-Untersuchungen zugesagt: Die Niederlande, Finnland und Deutschland. Weder die Vereinigten Staaten noch Russland haben bislang Mittel zugesagt – obwohl beide Staaten mehrfach eine unabhängige Untersuchung von Kriegsverbrechen in Syrien durch die UN gefordert haben. Generell halten sich jene Staaten auffällig bedeckt, die direkt in den Syrienkrieg verwickelt sind: Auch Saudi-Arabien und der Iran haben keinerlei Gelder versprochen. Eine Liste der Geberstaaten mit den von ihnen gezahlten bzw. zugesagten Beiträgen erhalten Sie gerne auf Anfrage.

Sollten die 1,9 Millionen Euro beim Crowdfunding zusammenkommen, werden sie an das für den IIIM zuständige Büro des Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) weitergeleitet. Anders als viele andere UN-Organisationen kann OHCHR auch private Spenden annehmen. Zwar hoffen wir, dass die Regierungen ihre Verantwortung übernehmen und das nötige Geld für diesen wichtigen Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit aufbringen, aber sollten sie das nicht tun, zahlen wir eben unseren Beitrag als Bürger/innen direkt ein.

Veröffentlicht am 19. Juni 2017

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