Apokalypse Angola

»Das Land ist ein Alptraum im Wachzustand. Eine Apokalyse. Nachdem ich dieses no man’s land durchquert hatte, habe ich realisiert, daß die Menschen ihrer Gegenwart, ihrer Vergangenheit und sogar ihrer Zukunft beraubt wurden. In dieser totalen Zerstörung gibt es einen Moment, wo all das, was zum Leben gehört, zur absoluten Bewegungslosigkeit kommt. Es gibt keine Zeit mehr, sie ist eingefroren. In der Hauptstadt, wo alles aus Abfall, Schutt, heruntergekommenen Gebäuden und Straßen besteht, und gigantische Vorstädte das umgürten, was von einer früher sehr modernen Stadt übriggeblieben ist, gibt es ein paar Hundert Privilegierte mit einem geradezu obszönen Lebensstandard. Ein Ökonom meinte: ‚Wer hier reich ist, ist es auf der ganzen Welt.‘ Wie wahr. Hier findet man die teuersten Autos Afrikas. Autos sind das Lieblingsspielzeug der Politiker. Der Spitzname für die Nationalversammlung ist Auditorium. Der Lifestyle dieser Stadt ist die Korruption selbst.« (Lettre 52, 2001)

So beschreibt der portugiesische Autor Pedro Rosa Mendes das Leben in Angola und in dessen Hauptstadt Luanda. Es könnten aber auch Freetown gemeint sein oder Bogota. Auch in diesen Städten - seit Jahren schon vom Bürgerkrieg heimgesucht - ist das Leben zum Stillstand gekommen. - Der angolanische Krieg hat unzählige Opfer gekostet, zehntausende allein infolge von Minenunfällen. Millionen von Minen liegen noch in der Erde und stellen eine permanente Gefahr für die Bevölkerung dar. Es gibt für Kinder keinen schlechteren Ort, auf die Welt zu kommen: Jedes dritte Kind stirbt, bevor es fünf Jahre alt wird, 42% aller Kinder sind unterernährt und nicht einmal die Hälfte hat jemals eine Schule besucht. Die Bevölkerung wird von beiden Kriegsparteien terrorisiert und ausgeplündert. Seine Bodenschätze machen Angola zum potentiell viertreichsten Land der Welt. Öl und Diamanten gibt es in schier unerschöpflichem Ausmaß. Mit den Erlösen aus dem Ölhandel finanziert die Regierung den Krieg gegen die Rebellenbewegung UNITA, die ihrerseits den Diamantenhandel kontrolliert. Angola war während des Kalten Krieges genau wie Afghanistan oder Mosambik Schauplatz eines klassischen Stellvertreterkrieges: Die MPLA-Regierung wurde von der UdSSR und Kuba unterstützt, die UNITA von Apartheids-Südafrika und den USA. Alle hatten Interesse an den Reichtümern des Landes, was in den 80er Jahren zu der grotesken Situation führte, daß kubanische Truppen im Auftrag der angolanischen Regierung die Förderanlagen US-amerikanischer Ölkonzerne absicherten, während die USA zugleich die UNITA jährlich mit ca. 60 Millionen US$ unterstützten. Nach einer gescheiterten UN-Mission 1996 wird Angola heute mafiotisch beherrscht. Die Rohstoff-Kontrolle sichert nicht nur die Machtstellung im Krieg, sie wurde selbst mehr und mehr zur Ursache des Krieges. Präsident dos Santos und UNITA-Führer Savimbi zählen zu den reichsten Männern der Welt. Der Präsident hat in allen staatlichen Gremien Familienangehörige plaziert. Die Herrschaft gegen die Bevölkerung ist offen repressiv.

Resultate einer medico Konferenz

Auf der von medico organisierten Konferenz zur Ökonomie von Bürgerkriegen hat der französische Wissenschaftler Philippe le Billon darauf hingewiesen, daß die Funktionsmechanismen von Bürgerkriegsökonomien verkennt, wer die Ursache der Kriege in Afrika einfach nur in den reichen Rohstoffvorkommen sieht. Erst die Profitinteressen von Waffenhändlern, Söldnern, transnationalen Konzernen, korrupten Regierungen, Warlords und den Eliten der jeweiligen Länder ermöglichen den Handel, der Devisen zum Kauf von Waffen ins Land bringt. »Kannibalen«, nennt Pedro R. Mendes die Gewinner der Kriege, denn sie sichern deren Fortdauer. Die absolute Bewegungslosigkeit, die er den Opfern dieser Kriege zuspricht, gilt demnach nicht für die Kriegsgewinnler. Diese kooperieren und konkurrieren miteinander (je nach Bedarf) und sorgen dafür, daß eine stabile Kriegs-Ordnung entsteht. Die Grenzen zwischen Krieg, organisierter Kriminalität und terroristischer Gewalt verschwimmen. Die Mittel für die Weiterführung von Kriegen reichen von Raub und Plünderung über Schutzgelderpressung, illegalen Export von Rohstoffen, Drogenanbau und -handel, Menschen- und Waffenhandel, Falschgeldherstellung, Zwangsabgaben, Aneignung humanitärer Hilfsgüter bis hin zu religiöser und ethnischer Diaspora. »Meistens verhindert eine Kombination mehrerer derartiger Quellen, daß kriegerische Konflikte in die wirtschaftliche Erschöpfung einer Seite münden«, sagt der Friedensforscher Peter Lock.

Am Ende der Welt

Mitten im Krieg, in der vergessenen angolanischen Provinzhauptstadt Luena, gründete medico 1996 - gemeinsam mit Partnerorganisationen aus der Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen - ein Rehabilitationszentrum für Minenopfer. Ein wagemutiges Projekt, in dem ein Team von lokalen Sozialarbeitern, Prothesentechnikern und Physiotherapeuten versucht, die Opfer des Krieges in einem umfassenden Sinne zu rehabilitieren, d.h. Menschen dabei zu unterstützen, ins gesellschaftliche Leben zurückzufinden, selbst wenn dieses nur noch in Fragmenten existiert. Denn über die Hälfte der Bevölkerung sind Flüchtlinge im eigenen Land, Entwurzelte, vom Krieg traumatisiert. Die psychosoziale Betreuung übernimmt das Jango-Team, bestehend aus lokalen Sozialarbeitern, die selbst im Krieg aufgewachsen sind und dennoch die Kraft finden, anderen Menschen eine Ahnung von der Zukunft zu vermitteln. Viele Patienten und Patientinnen betonen in Gesprächen, daß sie das Zentrum als ihren einzigen Schutzraum wahrnehmen. Diesen Schutzraum auch auf die Lebenswirklichkeit außerhalb des Zentrums zu übertragen, haben sich die Sozialteams zur Aufgabe gemacht. Die noch vorhandenen Gemeinde- und Selbsthilfestrukturen sollen gestärkt werden. Jeder Schritt, von der Minenaufklärung, über die Besuche der Minenopfer im Krankenhaus und die Betreuung im Rehabilitationszentrum bis zur sozialen Integration ist Teil des umfassenden Ansatzes dieses Projektes.

Erste Erfolgsschritte

Jeder kleine Erfolg ist inmitten des Krieges höchst fragil. Nachdem ein enger Freund auf eine Mine getreten war, fühlte sich Domingos Cairingue, der Leiter des Jango-Teams, tagelang wie gelähmt und sah sich außerstande, weiter seine Arbeit zu machen. Auch die Sorge um Familienangehörige, die teilweise in anderen Teilen des Landes auf der Flucht sind, erschweren die Arbeit. Als ein sorgsam gepflegtes Landwirtschaftsprojekt von der UNITA vermint wurde - tags drauf wurden viele Menschen verletzt und die Ernte musste ausfallen – lag genau jene Bewegungslosigkeit über der Stadt, die Mendes in seinem Roman beschreibt. Das Projekt in Luena ist aber auch eine Erfolgsgeschichte: Über 900 Menschen konnten in den vergangenen Jahren mit Prothesen versorgt werden. Das Projekt ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil der Gemeinde geworden und wird seit Sommer letzten Jahres eigenständig von der angolanischen Organisation CAP DC (Zentrum zur Unterstützung von Gemeindeförderung und Gemeindeentwicklung) verwaltet.

Veränderte Vorzeichen

In den 70er Jahren unterstützte medico antikoloniale Befreiungsbewegungen, heute findet die Arbeit in Kriegsgesellschaften unter veränderten Vorzeichen statt: Es geht bei den »neuen Kriegen« nicht mehr um politische Ziele oder gar um den Kampf um Gerechtigkeit. Daher muß eine Hilfsorganisation wie medico die eigene Funktion hinterfragen: Wo sind heute überhaupt noch Interventionsmöglichkeiten gegeben? In gewisser Hinsicht stützen Hilfsorganisationen immer die Regierungen, da sie ihnen einen Teil ihrer Verantwortung abnehmen. Humanitäre Hilfe ist nie »neutral«, sie greift ein, sie interveniert in bestehende Verhältnisse und hinterläßt - im guten wie im schlechten Sinne - Spuren, die über die akute Notsituation hinaus reichen. Gerade deshalb muß sich humanitäre Hilfe auf Seiten der Geschädigten, der Opfer von Kriegs- und Katastropheneinwirkungen, ins soziale Handgemenge begeben und mithelfen, daß Menschen wieder zu eigenständig handelnden Subjekten werden. Nach mühsamen Kämpfen ist es medico gelungen, daß das Recht auf Rehabilitation in den »Ottawa-Vertrag«, der das Verbot von Antipersonen-Minen regelt, Eingang gefunden hat. Eine unerlässliche Vorraussetzung für die Arbeit mit Minenopfern. Entgegen den Lippenbekenntnissen der Bundesregierung, daß es künftig keine vergessenen Kriege mehr geben wird, drohen heute Länder wie Angola oder die West-Sahara aus dem Raster der humanitären Hilfe herauszufallen. In den haushaltsrechtlichen Planungen der Regierung sollen diese Länder als hoffnungslose Fälle abgewickelt werden.

Kampagne Fatal Transactions

Weil wir diese Länder nicht aufgeben wollen, hat medico gemeinsam mit europäischen Partnerorganisationen die Kampagne Fatal Transactions gegründet. Eine Kampagne, die über den Rohstoffhandel mit kriegszerrütteten Ländern wie Angola informiert und sich zum Ziel gesetzt hat, transnationale Konzern zum Rückzug aus diesen schmutzigen Geschäften zu bewegen. Unternehmen, die in den vergangenen Jahrzehnten an dem illegalen Handel profitiert haben, sollen für die Beseitigung der Kriegsschäden und die Entschädigung der Opfer verantwortlich gemacht werden. Dank der Kampagne Fatal Transactions wird öffentlich über das Thema der »Kriegsdiamanten« gesprochen. Die Diamanten-Industrie lebt von der Legende, die begehrten Steine seien selten. Nimmt man den Steinen ihre symbolische Kraft, würde der Markt zusammenbrechen. Daher hat die Industrie eine begründete Angst vor einer Verbraucher-Kampagne und ist daher zu ersten Zugeständnissen bereit: So beschloss der World Congress of Diamonds, in Zukunft keine Schlupflöcher für Kriegsdiamanten zu lassen. Unterzeichnet wurde die Resolution auf oberster Ebene: vom Internationalen Diamantenherstellerverband und dem Weltbund der Diamantenbörsen. Künftig sollen alle Händler, die mit nicht-zertifizierten Steinen Handel treiben, auf eine schwarze Liste gesetzt und von allen 23 Diamantenbörsen ausgeschlossen werden. Da die Kontrollen an den Grenzen noch immer ungenügend und Diamanten sehr leicht zu schmuggeln sind, können Diamantenhändler nach wie vor Steine aus Kriegsgebieten auf den Markt bringen. Vor kurzem hat die Washington Post aufgedeckt, daß Bin Ladin‘s Al- Qaida viele Millionen US-$ mit dem illegalen Verkauf von Diamanten aus Sierra Leone verdient hat. Diamantenhändler haben die Steine den RUF-Rebellen abgekauft und in Europa und den USA, dem weltweit größten Diamantenimporteur, auf den Markt gebracht. Ein Handel, der auch nach dem 11. September fortgesetzt werden konnte: Kein Spürhund reagiert auf Diamanten und sie lösen keinen Flughafenalarm aus. - medico versteht die Kampagne Fatal Transactions genau wie die Projektarbeit in Angola als Beitrag der Parteinahme für die Opfer und als Chance, die stabile Kriegsordnung durch die öffentliche Aufdeckung von Machtinteressen zu durchbrechen. Dazu brauchen wir ihre Unterstützung.

Anne Jung

2500 DM im Monat braucht das Jango-Team, um arbeitsfähig zu sein. Überstützen Sie uns, daß diese Arbeit fortgesetzt werden kann. Spendenstichwort: »Angola«.

Veröffentlicht am 01. November 2001

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