Alternative Gesundheitsarbeit im Paris des Ostens

In Beirut wagen Schwule und Lesben den Schritt hinaus

Von Andreas Wulf

Neben einer Telefon-Hotline eröffnet der medico-Partner Helem das erste offiziell anerkannte Beratungszentrum zu allen Fragen psychosozialer und sexueller Gesundheit für Lesben, Schwule und Bisexuelle im gesamten arabischen Raum.

Das Zicco House an der viel befahrenen Spears Street in der Nähe des Sanayeh Garten, einer der wenigen Parks in der Beiruter Innenstadt, hat ein vielfältiges Innenleben: Eine stadtbekannte Galerie für moderne Kunst und internationale Ausstellungen hat hier ihren Sitz, aber auch die „Lebanese Action for Democratic Elections“, eine Nichtregierungsorganisation, die sich für die Entkonfessionalisierung des Wahlsystems im Libanon einsetzt. In den Räumen treffen sich aber auch Umweltgruppen und während des Krieges im Jahr 2006, den Israel gegen die Hisbollah führte, war hier das „Lagezentrum“ eines spontanen linksalternativen Bündnisses zur Unterstützung der Flüchtlinge aus dem umkämpften Südlibanon, mit dem auch medico kooperierte. Wie oft im Libanon mit seiner schwachen öffentlichen Infrastruktur ist das Gebäude kein städtisches Kulturzentrum, sondern eine private, alte Stadtvilla. Der Besitzer, jener Zicco, der dem Haus den Namen gegeben hat, machte den zahlreichen Initiativen in seinem Familiensitz Platz. Das Zicco House zählt zu den wenigen erhaltenen historischen Wohnhäusern im vom Bürgerkrieg in den 1980er Jahren zerstörten Zentrum des „Paris des Nahen Ostens“. Gleich nebenan ragen die Bürotürme des „neuen Beirut“ in den Himmel, die mehr von der Gewinnmaximierung der Immobilienfirmen als vom Geschmack ihrer Anteilseigner erzählen. Auf der anderen Straßenseite beeindruckt die wuchtige Zentrale des „Future TV“ der Hariri-Familie, die seit dem Ende des Bürgerkriegs die sunnitische Fraktion des Libanon politisch dominiert.

„Alternative Sexualitäten“

Das Zicco House nimmt sich zwischen all den wuchtigen Betonbauten so sehr zurück, dass man es fast übersieht. Aber am Ende ist genau auch dieser Umstand dem vielleicht prominentesten Gast des Hauses gerade recht: Seit 2005 hat Helem, die „Libanesische Aktion zum Schutz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender“, an diesem Ort ihren Sitz. Verkehrstechnisch gut zu erreichen und auf halber Strecke zwischen der Hamra, der großen Kultur- und Einkaufsmeile Westbeiruts, und dem Party- und Ausgehviertel Aschrafieh gelegen, berät Helem hier regelmäßig Menschen mit „alternativen Sexualitäten“, wie der von ihnen bevorzugte Ausdruck ist, um vorschnelle Identitätsraster unnötig zu machen, gibt Hilfestellung in persönlichen, psychosozialen und gesundheitlichen Fragen. Die homosexuellen Aktivisten von Helem stärken die Ratsuchenden in der Selbstfindung und in der Auseinandersetzung mit Familie, Freunden und einem sozialen Umfeld, in dem die heterosexuelle Familie immer noch die unhinterfragte Perspektive jeder nachwachsenden Generation ist. Wie dringlich solche offenen Ohren und unterstützenden Beratungen sind, wird vor allem auch am Erfolg ihrer Telefon- Hotline deutlich, die nicht nur Anrufe aus dem Libanon erhält. Als erste und einzige ihrer Art wurde die Hotline weit darüber hinaus in der arabischen Welt durch ihre Webseite und durch Mund-zu- Mund-Propaganda bekannt.

Gegen Paragraph 534

Auch wenn Helem keine Regenbogenfahne gehisst hat, sie spielen nicht Verstecken. Das Beratungszentrum im hinteren Teil des Hauses ist von einer verglasten Veranda aus zugänglich und damit in hohem Maße transparent. Im Sommer finden die Treffen der Mitglieder der Gruppe im Innenhof statt und die Nachbarschaft hat zu einem entspannten und akzeptierenden Verhältnis zu den Aktivisten gefunden – eine wichtige Voraussetzung in einem Land, in dem religiös-konservative Kräfte regelmäßig versuchen, die Arbeit der Gruppe mit Verweis auf die vermeintliche „Unmoralität“ ihrer Positionen zu behindern. Dieser „Unmoralität“ gilt Helems weiteres Arbeitsfeld: Der Abschaffung des Paragraphen 534 im libanesischen Strafgesetzbuch, der noch immer „widernatürliche Sexualakte“ unter Strafe stellt und primär männliche Homosexualität verfolgt. Zwar sind schon etliche Jahre keine Verurteilungen mehr durch die Gerichte erfolgt, die Polizei nutzt aber den Gesetzesartikel noch immer zur Einschüchterung sowie Registrierung der Betroffenen und verhindert erfolgreich die weitere gesellschaftliche Tolerierung einer gleichgeschlechtlichen Lebensweise. Die Strategie von Helem lässt sich vielleicht am besten als Kombination aus Kooperation und kontrolliertem Konflikt beschreiben: Offensiv nutzen sie die libanesische Pressefreiheit und Vielfalt der Medien, um ihre Positionen darzustellen und in Bündnissen mit Menschenund Bürgerrechtsaktivisten für die Liberalisierung der Strafgesetze zu streiten. Zugleich kooperieren sie mit dem Nationalen AIDS-Programm, entwickeln Materialien zur Aufklärung über Geschlechterrollen und -identitäten, über HIV/Aids und andere sexuell übertragbare Krankheiten. Wohl nur im Libanon kann es dabei zu der paradoxen Situation kommen, dass Helem nun im März 2010 ganz offiziell ein vom Nationalen AIDS-Programm und dem regionalen Büro der Weltgesundheitsorganisation unterstütztes Gesundheits- und Beratungszentrum für sexuelle Gesundheit eröffnet und zugleich immer noch nicht offiziell vom Innenministerium als legale Nichtregierungsorganisation registriert wurde – der Antrag liegt seit 5 Jahren in der Behörde und wird nicht bearbeitet. So sind sie nicht verboten aber auch nicht in der Lage, ein eigenständiges Konto für die Organisation zu eröffnen. Aber vielleicht ist das wenig überraschend in einem Land, in dem die Heirat zwischen Partnern verschiedener Konfessionen unmöglich ist, aber in Zypern geschlossene Ehen ebensolcher Partner anerkannt werden – der pragmatische Umgang mit der Realität, während die Fassade der Prinzipien aufrecht erhalten werden muss, ist ein gängiges Arrangement im Land der 18 Konfessionen. Das erklärte Ziel von Helem ist, die Risse in dieser Fassade zu vertiefen und den Bedürfnissen und Lebenswünschen der Menschen außerhalb der verordneten Normen Unterstützung und Anerkennung zu geben.

Projektstichwort:

medico unterstützt die alternative Gesundheitsberatung von Helem nicht nur durch die Beschaffung von im Libanon nur schwer erhältlichen Tests für Geschlechtskrankheiten, sondern wir fördern auch das psychosoziale Beratungszentrum der Initative, das nur wenige hundert Meter entfernt vom Zicco House liegt. Das Recht auf Differenz braucht unsere praktische Solidarität.

Das Stichwort lautet: Libanon.

Veröffentlicht am 30. März 2010

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