Jahresbericht der Stiftung

Ein Fundament für dauerhafte Solidarität

Die stiftung medico international baut ein Haus und stärkt so die Unabhängigkeit der medico-Arbeit.

Eigentlich war es nur der erste runde Geburtstag, den die stiftung medico international um den Jahreswechsel 2014 und 2015 herum feiern konnte: Zum zehnten Mal jährte sich die Gründung. Und doch war das vergangene Jahr für die Stiftung ein Jahr des Einschnitts oder eher noch des Aufbruchs in eine neue Phase. Die Entwicklungen im Laufe des Jahres werden die Stiftung, aber auch den Verein medico international und dessen zukünftige Arbeit nachhaltig prägen. Doch der Reihe nach.

Die Stiftung hat das Jubiläum zum Anlass genommen, ihr zentrales Anliegen – „Inseln der Vernunft zu schaffen“ – angesichts der immer desaströser werdenden Verhältnisse in der Welt zu reflektieren. Vor allem aber hat sie die Gelegenheit genutzt, ihre Ziele und Perspektiven erneut nachdrücklich in den öffentlichen Raum zu bringen. Im Mai erschien die Neuauflage der Stiftungsbroschüre, im Oktober eine mehrseitige Beilage in der taz. In beiden buchstabierte die Stiftung aus, was sie unter der Verwirklichung des Rechts auf Gesundheit versteht und welche Formen emanzipatorischen Handelns sie dem Fortschreiten zerstörerischer Politik- und Wirtschaftsweisen entgegensetzt. Daneben schildern Stifterinnen und Stifter die Motive ihres Engagements für medico international.

Eine Intervention in die gesellschaftspolitische Debatte war auch das Jubiläumssymposium, das die Stiftung im Juni im Haus am Dom in Frankfurt durchführte. Es stand in einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen die stiftung medico international von der ersten Stunde an Debatten initiiert und gefördert hat: Debatten über globale Entwicklungen, angemessene Formen der Hilfe und alternative Konzepte für eine gerechtere Welt. Unter dem Titel „Fit für die Katastrophe?“ unterzog sie 2015 den Begriff der Resilienz einer kritischen Revision. Entgegen dem Trend in Politik, aber auch im Bereich der Hilfe, „Widerstandskraft“ als Allheilmittel gegen die mannigfaltigen Krisen und Probleme der Welt zu beschwören, zeigten die Beiträge auf dem Symposium die Gefahr auf, wie unter dem Siegel der Resilienz gesellschaftliche Verantwortung in die Sphäre des Privaten abgedrängt wird. Wenn sich jeder und jede selbst für die drohende Katastrophe zu wappnen hat, wird die Perspektive, eben diese durch politisches Handeln zu verhindern, ins Abseits gedrängt. Es war eines der größten Symposien, das die Stiftung je ausgerichtet hat. Vor allem aber war der Widerhall, den die kritische Perspektive auf Resilienzkonzepte in zahlreichen (Teil-) Öffentlichkeiten erfuhr, beispiellos (mehr dazu auf Seite 17). Selten zuvor hatte die Stiftung derart wirksam in den öffentlichen Raum interveniert.

Genau das gilt auch für das andere große Ereignis des vergangenen Jahres, bei dem sich eine lange gehegte Idee in einer Unterschrift manifestierte: Im Oktober erwarb die Stiftung im Frankfurter Osten ein Grundstück, auf dem sie sich, dem Verein und anderen ein Haus bauen wird. Möglich wurde dies, weil sich im Laufe des Jahres 2015 das Stiftungsvermögen durch mehrere große Zustiftungen auf mehr als 18 Millionen erhöht hatte. Binnen zwei Jahren hat es sich damit mehr als vervierfacht. Dieser enorme Zuwachs ermöglicht es der Stiftung, die Projekte des Vereins medico in Zukunft noch weit stärker fördern zu können. Gleichzeitig sah sich die Stiftung nun in die Lage, einen größeren Teil des Stiftungsvermögens aus dem Kapitalmarkt abzuziehen und in ein eigenes Gebäude zu investieren, das die Unabhängigkeit medicos langfristig sichert.

Mit der Unterschrift unter den Kaufvertrag hat für die Stiftung, aber auch für den Verein ein Prozess begonnen, der beide noch lange beschäftigen wird. Als „Bauherrin“ sind unzählige Entscheidungen zu treffen. Das beginnt bei der Farbe von Zierleisten und dem Anbringen von Deckenleuchten. Interessant wird es bei anderen Fragen: Wie kann ein Raum entstehen, der zwar Bürogebäude ist, gleichzeitig aber den Anliegen und Werten von medico entspricht? Mit wem kann und soll dieser Raum gemeinsam genutzt werden? Wie kann das „medico-Haus“ ein auch öffentlicher Ort des solidarischen Nachdenkens und Handelns werden? Und wie lässt sich über solche Fragen partizipativ beraten und entscheiden? All das beschäftigt die Stiftung und den Verein im laufenden Jahr, dem Jahr eins nach dem Aufbruch. Am 9. Juni 2016 wird der Grundstein für das neue medico-Zuhause gelegt.

Thomas Gebauer
 

Debatten führen, Projekte fördern

Von der Hilfe für die freien Schulen im vom Krieg geschundenen Erbil in Syrien bis zur Unterstützung der emanzipatorischen Gesundheitsreform in El Salvador – im Jahr 2015 förderte die Stiftung mit den Erträgen aus dem Stiftungsvermögen neun medico-Projekte im globalen Süden. Neben Syrien und El Salvador betraf dies Partnerorganisationen in Afghanistan, Bangladesch, Guatemala, Palästina, Simbabwe, Sri Lanka und die Aktivitäten des People’s Health Movement zur kritischen Beobachtung der gesundheitspolitischen Debatten bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im schweizerischen Genf.

Hierfür standen im Berichtsjahr 130.000 Euro zur Verfügung, 50.000 mehr als im Jahr 2014. Unterstützt wurde zudem das Stiftungssymposium „Fit für die Katastrophe? – Der Resilienzdiskurs in Politik und Hilfe“, das Anfang Juni in Frankfurt stattfand. Äußerst positiv war die Entwicklung des Stiftungsvermögens: Aufgrund mehrerer großer Zustiftungen vor allem in den letzten Monaten des Jahres 2015 wuchs das Stiftungsvermögen von 8.7 Millionen auf 18.6 Millionen Euro.

Veröffentlicht am 30. Mai 2016

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