Dokumentation

Fit für die Katastrophe?

Widerstand und Anpassung: Das Stiftungssymposium 2015 setzte sich kritisch mit Resilienz auseinander und entwickelt Vorschläge für andere Konzepte.

Von Katja Maurer

Mathias Horx, seines Zeichens selbsternannter Trendforscher, ist immer für einen windschnittigen, gutgelaunten Spruch gut, der offenbart und vertuscht zugleich. Zum Thema des diesjährigen medico-Stiftungssymposiums über den Resilienzdiskurs in Politik und Hilfe, das Anfang Juni in Frankfurt am Main stattfand, verkündet er: „Resilienz wird in den nächsten Jahren den schönen Begriff der Nachhaltigkeit ablösen.“ Unverhohlen zweckoptimistisch folgt noch der Trost: „Lebendige, evolutionäre Systeme bewegen sich immer an der Grenzlinie des Chaos.“ Keiner kann so gut Unrecht, Ausgrenzung und daraus folgendes Leid dem Chaos in die Schuhe zuschieben.

Das Stiftungssymposium und die Vorabendveranstaltung zur Krise der Demokratie, die gemeinsam mit der katholischen Akademie Rabanus Maurus stattfand, versuchten sich hingegen noch mit der Analyse der Ursachen eines krisenhaftes Geschehens, das doch ein Grundprinzip hat: Wer ausgeschlossen ist, rutscht noch tiefer in den Ausschluss. Alle Zahlen über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, im globalen Norden wie im Süden, belegen das.

Märkte als Souverän

Bis auf den letzten Platz besetzt war die Abendveranstaltung über die Krise der Demokratie und die Privatisierung der Risiken, an der neben dem Buchautor und Literaturwissenschaftler Joseph Vogl, die deutsch-griechische Journalistin und Theatermacherin Margarita Tsomou und der ehemalige hessische Minister Ruppert von Plottnitz, der auch dem Stiftungskuratorium von medico angehört, teilnahmen. Die scheinbar naturgegebene Krise entpuppte sich bei Vogl als „elementare Symbiose aus Finanzkapital und Politik“, weshalb die Politik keinerlei Interesse an der Änderung der neoliberalen Agenda habe. Mit der Finanzkrise 2008 habe eine Situation für radikales Handeln vorgelegen. Die Chance sei nicht genutzt worden. Stattdessen, so Plottnitz, haben wir nun die „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel), in der die Märkte quasi zum zweiten Souverän neben dem Wahlvolk aufgestiegen seien. Es sei, so Plottnitz, am Beispiel Griechenland exemplarisch, „wie der demokratische Wille missachtet werde“. Man zwinge Griechenland Verfassungsbruch zu begehen. Das habe eine „staatstreichähnliche Dimension“.

 

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Margarita Tsomou, Herausgeberin des „Missy“-Magazins, flogen die Herzen und Köpfe des Publikums zu, weil sie als Europäerin mit deutsch-griechischen Wurzeln nicht nur politisches Engagement und Empathie für die griechische Politik zwischen „Unterwerfung und autonomer Politik“ aufbrachte. Sie löste auch eine große Erschütterung aus, als sie auf die Frage von Moderator Stephan Hebel, wie denn das Bild der Deutschen von sich selbst sei, antwortete: „Der neue Deutsche“ sei der bessere Europäer, „bescheiden, fleißig – und Opfer von denen, die faul, raffgierig und verschwenderisch“ seien. Das Ressentiment, das mit dem Begriff „Hausaufgaben machen“ schon in die politische Sprache eingeträufelt ist, kann Schlimmeres befördern. Dieser neue Deutsche, so Tsomou, fühle sich moralisch im Recht, „andere zu entwerten“.

Chaos und Resilienz

Wer solche sich schleichend im Mainstream verbreitetende Gefühle fürchtet, tut gut daran, statt über Chaos und Resilienz besser über Finanzkapitalismus und radikale Demokratie nachzudenken. Das machte das Stiftungssymposium unter dem Titel „Fit für die Katastrophe?“ am nächsten Tag deutlich. Es war, wie Klaus Ottomeyer, emeritierter Professor für kritische Psychologie an der Universität Klagenfurt, sagte, die erste Konferenz, die sich Disziplinen übergreifend mit dem Thema Resilienz beschäftigte, und damit ganz neue Zusammenhänge herstellte. Nimmt man nämlich die Resilienzdebatte in der Pädagogik zum Ausgangspunkt, klingt alles erst einmal wunderbar.

 

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Der Erziehungswissenschaftler Thomas von Freyberg beschrieb, wie das Leitkonzept kritischer Pädagogik, der Ressourcenansatz, mit dem Resilienzkonzept einen Bündnisgenossen gewonnen zu haben schien. Ursprünglich sei die Untersuchung seelischer Resilienz mit der Traumaforschung verknüpft gewesen. Es ging dabei um die Frage, welche seelischen Faktoren oder Strukturen bei einem Menschen dafür verantwortlich seien, im Unterschied zu Menschen in vergleichbarer Lage, „ein schweres psychisches Trauma zu verarbeiten, ohne dass schwerwiegende seelische oder körperliche Folgen zurückbleiben“.

 

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Haltung ohne Hybris

Sich der Paradoxien, denen sich Pädagogen, Therapeutinnen und Therapeuten, aber auch andere helfende Berufe ausgesetzt sehen, bewusst sind, könnte ein Weg zu einer politischen Haltung der Professionellen sein, ohne sich der eigenen Handlungsmöglichkeiten zu berauben. Es blieb dem Klagenfurter Psychotherapeuten Klaus Ottomeyer vorbehalten, Hinweise zu liefern, wie das gehen könnte. Zum einen verwies er auf den früh verstorbenen Sozialpsychologen Peter Brückner, der davon sprach, dass jeder Mensch immer wieder eine Balance „zwischen Widerstand und Anpassung“ finden müsse.

Ottomeyer präsentierte Zeichnungen einer afghanischen Patientin, die er im Rahmen seiner Arbeit mit Flüchtlingen betreut. Auf den Bildern setzt sich die Frau mit ihrer Geschichte aus Krieg und Verfolgung immer wieder ins Verhältnis zu ihrer Umwelt und zeigt damit eine individuelle Stärke, für die „Resilienz“ und „Ressource“ blasse Etiketten sind. Eines der Bilder heißt „Glück“. Man sieht einen Mann und eine Frau, eingerahmt von unzähligen schwarzen Kreuzen und schwarzen Wellen, die zu zerschellen scheinen an den vielfarbigen Sternen und dem wasserblauen Grund, die das Paar umgeben, das in der Mitte eine Kerze hält einem Kind gleich.

Ein weiteres Bild zeigt ein gefährlich schiefes Boot, in dem alle zu kentern drohen. Die Patientin nennt das Bild „die Pension“. Es bezieht sich auf ihr Leben in der Flüchtlingsunterkunft in Klagenfurt und ihre erniedrigenden Erfahrungen mit den Behörden. Immer wenn die Afghanin mit der Leiterin der Klagenfurter Behörde für Flüchtlinge sprach, so Ottomeyer, habe sie sich gefühlt, als würde die Beamtin die Asche ihrer Zigarette über ihrem Kopf abklopfen. Auch das zeigt das Bild.

Ein sicherer Ort?

Ottomeyer hatte seinen Beitrag mit der großen Frage eröffnet, wie der Neoliberalismus in die Psychotherapie gekommen ist. Die Therapeuten sähen sich einer Forderung nach permanenter Effizienzsteigerung ausgesetzt, Ranking und Evaluationsmechanismen seien die Instrumente von Vermessung und Selbstvermessung. Die Fallgeschichte stehe an letzter Stelle. Statt Methodenhype müsse man doch für jeden Patienten und jede Patientin die Psychotherapie neu erfinden.

 

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Die Bilder seiner afghanischen Patientin, die sich und ihre Familie durch Flucht selbst gerettet hat und in Klagenfurt auf ein verzweigtes Netz von Unterstützerinnen und Unterstützern gegen die Behörden stieß, waren so Ausdruck von Widerstand und zugleich von den Möglichkeiten therapeutischer Hilfe. Ottomeyers Verdienst war es, auch die eigenen persönlichen Grenzen aufzuzeigen. Er habe mit einem syrischen Patienten, dem es sehr schlecht ging, eine Übung machen wollen, sich einen „sicheren Ort“ zu imaginieren.

Wie er das tun solle, habe der Patient ihn verzweifelt gefragt, wenn er wüsste, dass seine Kinder in Syrien eingekesselt vom Hungertod bedroht seien? „Mein Fehler“, sagte Ottomeyer offenherzig. Eine mögliche Haltung wurde hier offenbar. Im medico-Diskurs heißt sie „Hilfe verteidigen, kritisieren, überwinden“. Vielleicht ist diese kritische und selbstkritische Haltung auch eine Stütze gegen die Verführung, die das Resilienzkonzept mit seiner vermeintlichen Anerkennung für pädagogische und therapeutische Professionelle darstellt.

Ende der Nachhaltigkeit

Während in Pädagogik und Psychotherapie die Grenzen zwischen sinnvollen Ansätzen und Legitimation bestehender Spaltungen verschwimmen, ist der Resilienzdiskurs in der Ökologie und in der Sicherheitspolitik tatsächlich gleichbedeutend mit einer Zeitenwende. Diana Hummel vom Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung stellte in ihrem Vortrag ausführlich dar, wie das normative Leitbild der Nachhaltigkeit durch das physikalische Konzept der Resilienz ersetzt wurde.

Es gehe nur noch um das Management von Störungen statt um Machtfragen. Man versuche sozialökologische Systeme in ihrer Robustheit gegenüber Störungen zu stärken. Gesellschaftliche Konflikte und Aushandlungsprozesse hätten darin keinen Platz.

In der Umweltfrage sei Resilienz gleichbedeutend mit einer Strategie zur Konfliktvermeidung. Die Unterschiede zeigte sie einleuchtend an zwei Konzepten: Der resilienten Stadt, die Anpassungstrategien an ökologische Herausforderungen entwickelt, steht die klimagerechte Stadt gegenüber, die sich ihrer „Klimaschulden“ – ein Wort aus der neuen päpstlichen Enzyklika – gegenüber dem Süden bewusst ist. Insbesondere in der Ökologie, forderte Hummel, müsse man von Gerechtigkeit anstatt von Resilienz reden.

 

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Während ihr zurückhaltender, aber in der Sache deutlicher Beitrag noch nicht für Unruhe sorgte, warf Marc Neocleous die Systemfrage auf, was mehr als Erstaunen hervorrief. Auf den Londoner Professor für Kritik der Politischen Ökonomie waren die Symposiumsorganisatoren wegen einer im Internet publizierten Artikel mit dem guten, leider nur auf Englisch funktionierenden Titels „Resisting Resilience“ (auf Deutsch: Der Resilienz widerstehen bzw. Widerstand leisten) gestoßen.

In seinem Vortrag wies er nach, dass der Aufstieg des Resilienzdiskurses eng mit der Sicherheitsproblematik verknüpft ist. „Die Sprache der Resilienz bereitet uns auf den Krieg gegen den Terror vor“, so Neocleous. Sie schaffe eine Kultur des Vorbereitseins auf die Katastrophe und versetze so die Imagination in einen Ausnahmezustand der Gefahrenabwehr. Politisch gebe es keine andere Idee mehr als die Katastrophe und damit sei die „Resilienz die Polizei der politischen Imagination“.

Neocleous sah darin nicht nur eine Form der Selbstoptimierung, sondern auch der Selbstüberwachung. Alternativen würde damit abgeschafft. In Erwartung kommender Katastrophen würde man gar nicht mehr über sie nachdenken. Ein perfektes Konzept, um „politischen Kampf zu vermeiden“. Durchaus ähnliche Überlegungen hatte der israelische Psychotherapeut José Brunner vor etwa einem Jahr bei der medico-Ringvorlesung „Umkämpfte Psyche“ vorgestellt.

 

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Hier schließt sich der Kreis. Denn Neocleous verwies auch darauf, dass Resilienz als Teil der neoliberalen Ethik „Rassismus statt Klassenkampf“ sei. So bekommt die Griechenland-Debatte in Deutschland mit ihren von Margarita Tsoumou beschriebenen Auswüchsen noch ein monströseres Gesicht.

Man kann es machen wie Neocleous, der am Ende seines Beitrages von der Notwendigkeit einer  Revolution sprach. Man kann aber auch den gerade verstorbenen Liedermacher Walter Mossmann zitieren, um dieser Form des Resilienzdiskurses, den Garaus zu machen: „Bleib erschütterbar und widerstehe.“

 

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Weiterlesen? Mehr Beiträge zur Resilienz-Debatte finden Sie in unserem Online-Dossier.

Veröffentlicht am 31. März 2015

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